"Allmählich nehme ich Erschöpfung wahr"

Erstellt am 18.09.2020

SOEST - Im 2. Teil des 100-Tage-Interviews mit dem Öffentlichkeitsreferenten Hans-Albert Limbrock spricht Superintendent Dr. Manuel Schilling über Corona und die Auswirkungen auf das Gemeindeleben und über seine wichtigsten Aufgaben bis zum Jahresende.

Durch Corona ist es schwieriger geworden, in relativ kurzer Zeit viele Menschen kennen zu lernen. Wie sind Sie bisher damit umgegangen?

Dr. Manuel Schilling: Wir haben gelernt, mit Videokonferenzen einander nahe zu kommen. Ich habe trotzdem viele Menschen besucht und habe mit ihnen auf Abstand zusammen gesessen. Meine Tätigkeit ähnelt da doch sehr der eines Managers. Ich bewundere die Kolleginnen und Kollegen, die beim Konfirmandenunterricht mit den Jugendlichen zusammen kommen und spannende Stunden anbieten sollen, ohne dass man einen Ball werfen oder ein Bewegungsspiel machen kann. Von den ErzieherInnen in den Kitas ganz zu schweigen. Ich habe es da noch gut.

Sind Sie zufrieden damit, wie die Gemeinden und die in ihnen handelnden Menschen die Corona-Krise bewältigen?

Absolut. Die Handelnden vor Ort nehmen die Herausforderung sehr ernst und verhalten sich sehr besonnen. Gleichzeitig versuchen sie, so gut wie es geht, Corona ein Schnippchen zu schlagen und den Menschen nahe zu sein, ohne sie zu gefährden.

Jede Krise bietet auch Chancen. Haben Sie das Gefühl, dass Landeskirche und Gemeinden diese sehen und nutzen?

Ich denke schon: neue analoge und digitale Formen der Seelsorge und des Gottesdienstes werden ausprobiert. Allmählich nehme ich aber auch eine Erschöpfung wahr. Das kann ich gut verstehen. Leider befürchte ich, dass der Corona-Marathon aber noch länger dauern wird. Da werden wir Orte und Gelegenheiten schaffen müssen, wie wir dem Dauerstress entkommen und neue Kraft schöpfen können. Ich bin sicher, dass Gott uns solche Oasen zeigen wird. Wir sollten dafür die Augen offenhalten.

Liegt zum Beispiel in der Digitalisierung eine Chance, Menschen zu erreichen, die eher glaubensfern sind?

Unbedingt. Online-Angebote sind ja niedrigschwellig und öffentlich. Prinzipiell hat da jeder Internetnutzer Zugang. Aber es gilt auch: das Angebot muss sehr professionell und ansprechend sein, sonst erreicht es doch nur die sowieso Hochverbundenen und versinkt ansonsten wieder im digitalen Orkus. Deshalb müssen wir unser digitales Angebot verbreitern, verstetigen und professionalisieren. Wir sollten aber nicht denken, dass das der Königsweg in die kirchliche Zukunft ist. Das Direkte, Analoge, Face-to-Face ist meine Ansicht nach unersetzbar und unüberbietbar.

Welche Bücher liegen zurzeit auf Ihrem Schreibtisch?

Die fette Hegel-Biographie von Vieweger, sowie ein kleines Büchlein aus der Beckschen Reihe zu Hegel, um ihn wenigstens nur ansatzweise zu verstehen. Hegel ist wichtig. Wenn ich aber diese Schinken durch habe, freue ich mich auf einen richtig guten Krimi, welchen weiß ich noch nicht.

Was werden Ihre drei wichtigsten Aufgaben bis Jahresende sein?

Eine „Hybrid-Synode“ steht im September und vielleicht auch im November an. Das bedeutet: die ca. 180 Synodalen treffen sich an 9 Standorten in ihrer Region über den ganzen Kirchenkreis verteilt und konferieren halb physisch-real im Kirchraum, halb digital über Bildschirm. Beamer, Leinwände, Mikros, Internetzugang, Laptops, Verpflegung- das ganze ist ein Heidenaufwand. Unser derzeitiger Synodalassessor Christian Klein hat sich bei der logistischen Planung dieser Premiere (für die gesamte Landeskirche meines Wissens einzigartig) ein Denkmal gesetzt. Danke, Christian! Dann will ich als zweites die Personalplanung bei den Pfarrerinnen und Pfarrern für die nächsten Jahre auf solide Grundlagen stellen. Viele verdiente KollegInnen gehen demnächst in den Ruhestand, nicht viele Jüngere folgen nach. Da gilt es, intelligente Lösungen zu finden. Und schließlich soll im November auf der Synode der neue Kita-Trägerverbund für den ganzen Kirchenkreis offiziell beschlossen werden, damit er dann zum neuen Kita-Jahr 2012/22 an den Start gehen kann.

Der Kirchenkreis hat von der Größe her beeindruckende Dimensionen. Waren Sie schon im „tiefsten Sauerland“?

Sehr oft. Hübsche Gegend. Nur die vielen toten Fichtenschonungen geben mir zu denken.

Wie versuchen Sie, den Dialog auch mit den entfernter liegenden Gemeinden herzustellen?

Telefon, Zoom-Konferenz, Email, Autofahren. Miteinander Reden, Reden, Reden.

Was fehlt Ihnen aus Ihrer „alten Arbeit“?

Die magischen Worte und Gesten des Segens am Ende des Gottesdienstes; mit den Kindern im Kreis sitzen, sich auf die Schenkel schlagen und danach im Kreis hüpfen.

Auch nach 100 Tagen ist vieles immer noch neu und vielleicht auch ein bisschen aufregend. Was glauben Sie, wie lange werden Sie brauchen, um wirklich anzukommen?

Das wird bestimmt ein Jahr dauern.

Mit Ihnen ist auch Ihre Familie nach Soest gekommen. Fühlen sie sich schon ein bisschen heimisch?

Wir verlaufen uns nicht mehr zwischen den Wällen. Die Wiesen zwischen Soest und Ampen durchqueren wir per Fahrrad täglich. Die Mädels finden ihre Schulen gut. Wir sind schon einmal in den Möhnesee gehüpft und haben verbotenerweise in der (zu dem Zeitpunkt) leeren Drüggelter Kapelle gesungen. Einer Einladung zu einem ausschweifenden Abendessen konnten wir schon folgen. Die Soester Biergartendichte ist außergewöhnlich. Die ältere Tochter hat einen Stadtbibliotheksausweis. Doch, wir sind schon ein bisschen angekommen.

Wie sieht der Ausblick für die kommenden 100 Tage aus? Was wünschen Sie sich und was möchten Sie erreichen?

Ich möchte alle meine Geschwister in den Gemeinden und Funktionsstellen, den Referaten und sonstigen Arbeitsbereichen einmal gesehen und in Ruhe gesprochen haben. Ich möchte ein starkes Team in allen Gremien des Kirchenkreises haben und mit dem neuen Kreissynodalvorstand ein paar schöne Sitzungen gehabt haben. Ich möchte ein solides inhaltliches Programm für das Jahr 2021 entworfen haben. Ich möchte mit den Geschwistern einmal Abendmahl gefeiert haben, ob hybrid, digital oder physisch. Und ich möchte mit meiner Familie in unserem eigenen Haus in Soest wohnen.

Der Superintendent mit dem Fahrrad: Vorzugsweise ist Dr. Manuel Schilling in Soest mit dem Rad unterwegs. Foto: Hans-Albert Limbrock