Ein Leuchtfeuer in der Welt – Johannes Calvin, Asterix des Reformismus?

Erstellt am 01.10.2021

Großes Interesse bei der Auftaktveranstaltung zur Veranstaltungsreihe „Reformiert – in Echt?!“

Referent Oskar Greven in seinem Element

 

Von Julie Riede

Soest. Der Winterkirchenraum in Alt St. Thomae ist beinahe voll besetzt; viele Interessierte zieht es zum Vortrag über "Johannes Calvin". Und dazu die Frage: Was trennt und was verbindet – die Reformierten und die Lutheraner? Hintergrund der Vortragsreihe ist die Fusion der beiden evangelischen Kirchengemeinden Petri und Pauli in Soest. 

Während am Eingang „die 3 Gs“ kontrolliert werden, sagt Referent Oskar Greven bescheiden und halb zu sich selbst: „ich habe gar nicht gedacht, dass so Viele kommen werden“ –  dann geht er ans Rednerpult, begrüßt die Gäste und legt los. Man merkt schnell, er ist ein Kenner auf seinem Gebiet. Und so ist der Vortrag trotz später Stunde auch kein bisschen langweilig, der Zuhörer spürt schnell, hier brennt jemand für sein Thema. Spannend führt Greven durch die verworrenen Lebensabschnitte Calvins und versucht, die wichtigsten Punkte im Leben eines Mannes, der den Protestantismus reformiert hat, zu beleuchten.

2009 wäre Calvin 500 Jahre geworden. Der Humanist, Jurist und Theologe Johannes Calvin veränderte neben Martin Luther die spätmittelalterliche Kirche. Heute ist er nicht so bekannt wie Luther, aber für die Anhänger der Reformierten Kirche Begründer einer neuen Glaubensausübung.  Was machte ihn aus?

Kern seiner Arbeit ist die Frage: Kann/muss Kirche dem Glauben dienen – wie kann sie dies erreichen?  Calvin richtet seinen Blick dabei auch zurück auf die alte, traditionelle Kirche. Die Theologie Calvins betont die unbedingte Heiligkeit Gottes. Alles Menschenwerk, sogar die Glaubensentscheidung und nicht zuletzt der Kultus der katholischen Kirche mit Sakramenten, Reliquien oder Ablass gelten ihm als Versuche, die Souveränität Gottes einzuschränken und an Irdisches zu binden.

Zeit seines Lebens steht Johanns Calvin im Schatten seines „Mit-Reformators“ Martin Luther. Flucht und Exil bestimmen sein Leben, nachdem er nach dem Studium zum Reformismus findet. „Calvin ist viel gereist – doch Luther ist er nie begegnet“, so Oskar Greven. „Worms, Wartburg, Wittenberg, das waren Luthers Wirkungskreise. Erst die Reformatoren der zweiten Generation tragen die neuen Lehren in die Welt hinaus. So auch, oder vor allem auch: Calvin. Ohne ihn und die anderen späteren Reformatoren wäre die Reformation eine deutsch/skandinavische Angelegenheit geblieben.“

Eines der berühmtesten Zitate Calvins: „Die ganze Summe unserer Weisheit, soweit man sie als wahr und fest ansehen darf, besteht in zwei Stücken, nämlich der Gotteserkenntnis und der Erkenntnis unserer selbst.“ Institutio I 1,1.

 

Calvin stirbt 1564 in Genf, seine Bescheidenheit und seinen Antipersonenkult drückt er am Ende seines Lebens derart aus, dass er keinen Grabstein will. Sein Weltbund ist heute größer als der Lutherische. Das Priestertum aller Christen wird durch Calvin geeint, Hierarchien aufgebrochen. So soll die Kirche bezeugen, dass sie Jesus Christus eigen ist. Das Kirchenrecht ist für den Juristen und Theologen Calvin wichtiger Bestandteil. Oskar Greven: „ohne Kirche ist für Calvin Glaube nicht denkbar. Die Kirche soll, wie in der Bergpredigt beschrieben, eine Stadt auf dem Berg für die Gläubigen sein, die Gläubigen in ihr eine Weltgemeinschaft in Geschwisterlichkeit, Barmherzigkeit und Hoffnung.“ Calvin wird damit auch zum Türöffner für Freikirchen: weg vom Klerikalen, hin zum Geschwisterlichen. Aber: es gibt laut Calvin keine Vergebung und kein Heil ohne die Kirche, so Oskar Greven – die EINE Kirche, die für den Leib Christi steht. Cura pietatis (mitfühlende Fürsorge) soll schützen. Ordinatio civilis (Zivilrecht) soll regeln.

Calvins Lehre gilt auch und besonders dem Schutz von Flüchtlingen und Hilfesuchenden. Nach Calvins Lehre ist der Mensch von Gott zu Heil oder Unheil vorbestimmt und muss sein Auserwähltsein durch Leben und Wirken beweisen. Oskar Greven unterstreicht: „die Prädestination (Vorherbestimmung) führt in eine neue Solidarität im Geiste Calvins.“

 „Die Häuser der Reichen sind die Schlachthäuser der Armen“, so soll es Calvin einst gesagt haben. Damit zeige er eine sehr diakonische Veranlagung. Das Engagement für Arme diene nach Calvin nicht dem Seelenheil, so Greven, sondern sei eine Übernahme von Verantwortung. 

Leona Holler, Pfarrerin der Reformierten Gemeinde St. Thomä fragt: „ Hatte er (Calvin) so viele Zweifel wie Luther?“ Greven antwortet: Calvin habe sein starker Glaube an die Hoffnung getragen, das Gehen durch Täler sei für ihn notwendiges Übel gewesen. Er werde zwar oft streng und scheinbar leidend dargestellt. Sein Leben sei aber auch nicht einfach und voller  Schicksalsschläge gewesen. Calvin sei ein Theologe der Hoffnung. Es gehe nicht um das Leben nach dem Tod, sondern um das Leben im Hier und Jetzt. Gottestreue richte den Menschen nach Calvin für die Zukunft auf.

Christ sein bedeute laut Oskar Greven für Calvin: wir sind mitten im Tod vom Leben umfangen, anders als es im Mittelalter im Memento Mori hieß: „Wir sind im Leben vom Tod umfangen. Das Leben ist eine ständige Meditation in sich. Bedeutender Unterschied zwischen Lutheranern und Reformierten ist, dass alle in der Kirche, die Teil der 4 Ämter sind, sprechen dürfen, nicht nur Pfarrer*innen.“ Calvin nennt unter Berufung auf das Neue Testament vier Ämter, die es in jeder Kirchengemeinde geben muss: Pastoren oder Hirten (pasteurs), Lehrer (docteurs), Älteste (anciens) und Diakone (diacres). Dies könne, sagt Greven, auch eine Entlastung für Pfarrer*innen von ihren Aufgaben bedeuten und ein Lernen des Delegierens.


In den Niederlanden, der Schweiz, Schottland und Ungarn ist die reformierte Kirche bzw. der Calvinismus weit verbreitet. Auch auf den Färöer-Inseln, der kleinsten Staatskirche der Welt. Die evangelisch-reformierte Kirche ist eine von 20 Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Zu ihr gehören 143 Gemeinden mit etwa 165.400 Gemeindegliedern. Die Gemeinden, die sich über das ganze Bundesgebiet verteilen, sind in neun Synodalverbände gegliedert; vornehmlich in Ostfriesland, dem Emsland, in der Grafschaft Bentheim sowie im östlichen Niedersachen und in Bayern. „In Deutschland gibt es überall Reformierte, sogar versprengt im streng katholischen Bayern“ sagt Greven zum Schluss. „Und bei uns, in Soest“, ruft eine Frau ganz stolz.

Das klingt ein bisschen wie der Anfang der Asterix und Obelix-Geschichten, wo es heißt: „Ganz Gallien ist von den Römern besetzt ...Ganz Gallien? Nein!...“ Für diesen Abend ist damit zwar alles gesagt, aber die Reformierte Kirche in Soest hat noch Einiges zu sagen. 8 weitere Vorträge folgen, die es nicht zu verpassen gilt.

 

Themen der nächsten beiden Vorträge, die aufgrund der Herbstferien in den November gelegt wurden: am 11.11. Dr. Werner Ruschke – das reformierte Abendmahlsverständnis und am 25. November Pfarrer i.R. Friedhard Fischer: Der Heidelberger Katechismus (und die Soester Antwort darauf?). Um Anmeldung wird gebeten: 02921/396121 oder helga.broemsedontospamme@gowaway.evkirche-so-ar.de.

Der Winterkirchraum von Alt St Thomä war gut gefüllt