Zusammen mit Ali (l.), der immer noch im Kirchenasyl lebt, näht Javid bunte Kissen in Tierform. Foto: Ulrike Dietz
Geseke. Kristina Ziemssen kommt direkt mit einem neuen Auftrag ins Bodelschwingh-Haus: „ Die Freundin von Klara will 5 Einhörner.“ Was sich zunächst nach einem etwas seltsamen Wunsch – vor allem in einem Gemeindehaus – anhört, ist schnell erklärt. Klara ist die Tochter der Geseker Pfarrerin und mit den Einhörnern sind jene Kuschelkissen gemeint, die der afghanische Flüchtling Javid derzeit im Akkord näht.
Der 23-Jährige lebte knapp eineinhalb Jahre im Kirchenasyl, weil er nach Österreich abgeschoben werden sollte. Nach einer Zwischenstation in Hamm hat sich die Gemeinde dafür eingesetzt, dass Javid wieder zurück nach Geseke kommt. Da der Afghane nun einen sicheren Status hat, wohnt er jetzt in der Flüchtlingsunterkunft am Lindenweg.
Sein zweites Zuhause ist und bleibt aber das Bodelschwingh-Haus. „Ich habe eine Familie in dieser Kirche gefunden“, sagt Javid. Genau für diese Familie näht er seine Kissen. Angefangen hat alles mit einem Buch, das die Gemeinde ihm zu Weihnachten geschenkt hat. Hund, Frosch, Faultier, Fuchs und das schon erwähnte Einhorn: Es enthält Anleitungen und Schnittmuster in Tierform.
Dass ausgerechnet dieses Geschenk unterm Weihnachtsbaum lag, ist übrigens kein Zufall. Bereits im Alter von acht Jahren musste Javid aus seinem Heimatland fliehen. Seine Familie kam mit einer anderen in Konflikt und lebte fortan in Angst vor Blutrache. Javid kam bei einem Schneider im Iran unter, der ihm sein Handwerk näherbrachte. Schon als Kind nähte der Afghane Kleidung.
Nadel und Faden sollten ihn bis nach Geseke begleiten. Nach dem Altarbehang fürs Bodelschwingh-Haus nahm sich Javid die Kissen vor. Letztere fanden schnell eine große Fangemeinde.
„Die Bestellliste wird immer länger“ sagt Kristina Ziemssen. Dass der junge Afghane ein Händchen fürs Nähen hat, hat sich nämlich auch schon über Gesekes Stadtgrenzen hinaus herumgesprochen. Etwa 50 Kissen ist er bislang schon losgeworden. Sie werden übrigens nicht verkauft, sondern gegen eine Spende abgegeben (siehe Infokasten). Das Geld geht an Javids Mutter, die immer noch im Iran lebt.
Bei Javids Hobby unterstützt ihn die ganze Gemeinde. Das Familienzentrum Senfkorn sponserte die Nähmaschine, Privatpersonen den Stoff. Und dann ist da natürlich noch Kristina Ziemssens Bügelbrett, das jetzt im Gemeindehaus steht. „Dann bügle ich meine Wäsche eben jetzt auch hier“, meint die Pfarrerin schmunzelnd. Auch Ali und Filimon, die noch im Kirchenasyl leben, greifen Javid unter die Arme. Der eine hilft beim Zuschneiden, der andere hakt die Bestelllisten ab.
Am beliebtesten ist und bleibt übrigens das Einhorn. „Das ist der absolute Renner“, sagt Kristina Ziemssen. Javids Favorit ist aber eher der Fuchs. „Ich habe aber noch nicht alle Modelle gemacht“, räumt er ein. Für ein Kissen braucht er etwa zwei Stunden. Damit es schneller geht, macht der junge Afghane immer mehrere Exemplare von einer Sorte gleichzeitig.
Sein Hobby zum Beruf machen möchte der 23-Jährige allerdings nicht. Auf seinen Deutschkurs soll eine Ausbildung als Altenpfleger folgen. Vorausgesetzt, Javid darf in Deutschland bleiben. Momentan sind die Abschiebungen nach Afghanistan wegen der politischen Lage zwar ausgesetzt. Ein dauerhaftes Bleiberecht hat Javid jedoch noch nicht.
Fürs Erste ist er dennoch froh in Geseke – und vor allem bei der Evangelischen Gemeinde – sein zu dürfen. „Mit meinen Kissen kann ich Familien und Kinderglücklich machen“, erklärt der 23-Jährige. „Ich bedanke mich bei allen, die mich immer unterstützt haben.“ Dazu zählen neben Pfarrerin Kristina Ziemssen übrigens auch Presbyterin Stefanie Lappe und Katja Greuel.
Textquelle: Der Patriot
Die Tierkissen sind gegen eine Spende erhältlich. Javid fertigt sie übrigens auch nach individuellen Wünschen an, Interessierte können sich dann Stoffe und Modell aussuchen.
Weitere Informationen – und die Bestellliste – gibt es im Gemeindebüro der Evangelischen Gemeinde Geseke im Bodelschwingh-Haus, Tel. (0 29 42) 31 02 (Melanie Schlottmann)