Die Frau, die die Gewitter jagt

Erstellt am 13.08.2021

Chantal Anders ist eine Sturmjägerin und gehört zum Team „Stormchaser Ruhrgebiet.“ Foto: Hans-Albert Limbrock

Von Hans-Albert Limbrock

Ense-Bremen. Wenn es grummelt. Wenn in der Ferne der Donner grollt. Wenn erste Blitze vom Himmel züngeln, sich Wolken hochhaushoch am Firmament auftürmen und sich die meisten Menschen in ihre Häuser verkriechen, um Schutz zu suchen – dann, ja dann erwacht bei Chantal Anders das Jagdfieber. Dann ist sie in ihrem Element  und  muss raus. Raus, dorthin, wo die Gewitter toben.

Die 30jährige Finanzberaterin im Kreiskirchenamt Hellweg ist das, was man eine Sturmjägerin nennt. Seit 2017 gehört sie zur Gruppe „Stormchaser Ruhrgebiet“ und fotografiert mit ihren zwölf Kolleginnen und Kollegen mit Leidenschaft Gewitter, fantastische Wolkenformationen und Wetterphänomene.

Dass sie dieses eher seltene Hobby pflegt, ist eigentlich ein Paradoxon. „Ich hab eigentlich immer richtig Panik bei Gewitter“, gesteht sie. Das war – wie wohl bei den meisten Menschen – schon als Kind so. Gleichzeitig aber haben Gewitter schon immer eine geradezu magnetische Faszination auf sie ausgeübt: „Ich musste dann immer am Fenster stehen. Dann konnte ich das besser aushalten. Das ist heute noch so.“

Respekt vor Urgewalt

Der Respekt vor der Urgewalt des Wetters ist dabei so etwas wie die beste Lebensversicherung für Chantal Anders, denn ganz ungefährlich ist das stürmische Hobby natürlich nicht: „Ich bin immer die Erste von uns, die Schutz im Auto sucht.“ Allerdings sind auch ihre fotografierenden Mitstreiter allesamt keine lebensmüden Hasardeure, die sich um des einen Fotos willen in große Gefahr begeben.

„Wir alle“, so Anders, „sind sehr vorsichtig. Mit der Zeit kommt die Erfahrung und man weiß eigentlich immer früh genug, wann es besser ist, Schutz zu suchen.“ Die Betonung liegt bei dieser Aussage auf eigentlich. Denn Gewitter sind Wundertüten und nicht immer bis ins letzte Detail berechenbar und vorhersehbar.

So wie vor wenigen Tagen, als sie wieder einmal in ihrem Stammgebiet oben auf der Haar unterwegs war. „Da habe ich die Situation und damit die Gefahr komplett falsch eingeschätzt“, räumt sie ein. „Ich war einfach zu nah dran. Es gab da diese Aufwindbasis, aus der es schon blitzte. Als dann der Regen einsetzte, war es fast schon zu spät.“ Das Geräusch des zischenden Blitzes, der dann herniedersauste, wird sie wohl niemals vergessen. „Ich habe es gerade noch rechtzeitig ins Auto geschafft. Da gefriert einem das Blut in den Adern. Ich habe am ganzen Körper gezittert.“

Reichlich Wetterwissen

Erst nach einer gefühlten Ewigkeit ist sie wieder zur Ruhe gekommen – und hat gebetet: „Ich habe Gott dafür gedankt, dass er seine schützende Hand über mich gehalten halt. So etwas soll mir nicht nochmal passieren. In Zukunft werde ich noch vorsichtiger sein.“

Vorsicht und die richtige Vorbereitung sind die entscheidenden Voraussetzungen für die Sturmjäger. Wichtiges Hilfsmittel sind dabei Apps, auf denen sie ständig die Wetterentwicklungen kontrollieren. „Inzwischen“, so Chantal Anders, „habe ich mir da schon eine Menge Kenntnis und reichlich Wissen angeeignet. Aber ich möchte noch mehr über das Wetter wissen und lernen. Da werde ich mich noch weiter fortbilden.“

Dass „Stormchasing“ ein durchaus seriöses Hobby ist, zeigt die Tatsache, dass die Sturmjäger eng mit dem Deutschen Wetterdienst zusammenarbeiten. Anders: „Wir stellen denen unsere Daten zur Verfügung, damit gegebenenfalls Warnungen herausgegeben werden können.“ Denn so lokal, wie Anders und Co. das Wetter erleben, können die Wetterdienste es trotz aller Satellitenbilder gar nicht leisten. Zudem gibt das Team auch über seine Social-Media-Kanäle eigene Warnungen heraus.

Meist ist Chantal Anders mit ihrer Kamera alleine unterwegs. Hin und wieder fährt auch mal ihr Vater mit. Ehemann Christian lässt sich von der Leidenschaft seiner Frau für Blitz und Donner nicht begeistern. „Wir sind beide große Gladbach-Fans. Das ist ihm wohl stürmisch genug“, lacht die Hobby-Fotografin.

Direkt vor der Haustür

Da sie in Ense-Bremen wohnt, muss sie nur ein paar Meter fahren, um auf die Haar zu gelange. Der Höhenzug trennt die Soester Börde vom Sauerland und bietet ein tolles Revier für alle Arten von Wetterphänomen. „Mitunter fahren wir aber auch gemeinsam raus. Wenn man zu zwei oder zu dritt unterwegs ist, ist es in jedem Fall leichter“, weiß Anders. Ein Teammitglied kann dann fahren, ein zweites navigiert und ein Drittes fotografiert.

Exakt vorhersehen, ob die Fotojagd erfolgreich sein wird, kann man es grundsätzlich nicht, denn die Zugbahnen von Gewitterzellen unterliegen keinen statischen Regeln. „Es ist meist Glückssache. Oft fahren wir raus und alle Daten deuten auf ein beeindruckendes Gewitter hin und dann passiert nicht viel. Beim nächsten Mal bleibt man zuhause und es entwickelt sich ein fantastisches Gewitter. Das ist eben Murphys Gesetz.“

Wenn sich Anders gemeinsam mit den anderen Teammitgliedern auf die Jagd begibt, dann wird das Revier deutlich größer. Dann fährt man auch schon mal tief ins Ruhrgebiet, in die Eifel, nach Holland oder Belgien. „Am besten geeignet ist natürlich die blaue Stunde, dann wenn der Tag langsam in die Nacht übergeht. Dann ist das Licht am schönsten, weil noch ein Rest Tageslicht da ist und sich gleichzeitig aber auch Blitze gut abzeichnen.“

Geschützt im Auto

Einige hundert Aufnahmen werden dann im Idealfall gemacht. Dank der Digitalfotografie ist das kein Problem. Zu Zeiten, als noch maximal 36 Bilder auf eine Filmrolle passten, wäre das natürlich nicht bezahlbar gewesen. Ohnehin ist die Technik ein wichtiger Faktor. Alle haben natürlich professionelle Kameras mit den richtigen Objektiven. Die Kameras werden in der Regel auf ein Stativ montiert und dann per Fernauslöser ausgelöst; der Fahrer kann relativ geschützt im Auto sitzen bleiben.

Für Chantal Anders muss es dabei nicht unbedingt das krachende Gewitter sein, um sie auf den Auslöser drücken zu lassen. „Für mich haben Wolkenphänomene grundsätzlich ihren Reiz, auch Nebel oder Regenschauer können faszinierende Motive bringen.“

Aber natürlich weiß sie als Fußballfan, dass das Wetter in unseren Breitengraden allenfalls Bundesliga-Niveau hat. Die Champions-League findet in Amerika statt. „Das ist mein großer Traum. Einmal auf Tornadojagd. Und das werde ich garantiert noch machen, ganz sicher.“

Wer Fotos von Chantal Anders sehen möchte, kann ihr auf Instagram unter wetter_eule folgen.

Fotos von Gewittern sind die Spezialität von Chantal Anders.