"Der Mann, der Adolf Eichmann enttarnte"

Erstellt am 26.08.2021

Bis zum Schluss des Prozesses in Israel hat Adolf Eichmann, der Architekt des Todes, keine Reue gezeigt. Er habe nur Befehle ausgeführt. Am 1. Juni 1962 wurde er hingerichtet. Foto: dpa

Von Hans-Albert Limbrock

Welver/Möhnesee. Er war Hitlers Architekt des Todes. Der Organisator der Endlösung, mit der der Tod von sechs Millionen Juden mit ebenso bürokratischer wie menschenverachtender Perfidie organisiert wurde. Adolph Eichmann. Erst sechszehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Eichmann in Argentinien von Agenten des israelischen Gemeindienstes Mossad gefangen genommen und nach Israel entführt, wo ihm der Prozess gemacht wurde. 1962 wurde das Todesurteil vollstreckt. In der Nacht zum 1. Juni wurde Joseph Eichmann erhängt. Bis heute das einzige Todesurteil, das in Israel vollstreckt wurde.

Jahrelang konnte Eichmann unbehelligt in Argentinien leben. Zwar sollen westliche Geheimdienste Kenntnis von seinem  Aufenthaltsort gehabt haben, doch das Interesse, den Mann für die millionenfache Massenvernichtung zur Rechenschaft zu ziehen, war offenbar gering. Zu groß war die Sorge, dass Eichmann Männer enttarnen könnte, die inzwischen in der noch jungen Bundesrepublik wichtige Ämter bekleideten – wie etwa der einschlägig vorbelastete Hans Globke, der damalige Chef des Bundeskanzleramtes unter Konrad Adenauer.

Brisantes Wissen

Dass Eichmann in Argentinien aufgespürt werden konnte, ist auch einem Mann zu verdanken, der von 1978 bis 1984 als Pfarrer in Welver gewirkt hat und im Oktober 1996 auf dem Neuen Friedhof in Körbecke beigesetzt wurde: Giselher Pohl. Die renommierte Süddeutsche Zeitung hat unter dem Titel „Der Mann, der Adolf Eichmann enttarnte" den Hintergründen um die Ergreifung Eichmanns jetzt drei Seiten gewidmet und detailliert erklärt, welch bedeutende Rolle Giselher Pohl dabei gespielt hat.

Zu der umfassenden  Recherche von Bettina Stangneth und Willi Winkler, den Autoren des Berichtes, gehörten demnach auch zahlreiche Gespräche mit Kindern und Enkelkindern der Beteiligten. Eine Tochter von Pfarrer Pohl lebt in Soest, möchte aber nicht näher identifiziert werden. Eine wichtige Rolle spielt ein Tagebuch, das Rosemarie Pohl geführt und in dem sie festgehalten hat, inwieweit ihr Mann involviert war.

Demnach ist der deutsche Geologe Gerhard Klammer hauptverantwortlich für die Festnahme Eichmanns gewesen. Klammer hat nach dem Krieg viele Jahre in Südamerika gearbeitet und dabei auch Eichmann kennengelernt, der unter dem Namen Ricardo Klement in der selben Firma arbeitete, für die auch Klammer tätig war.

Im Herbst 1959 hegt Klammer den Verdacht, dass es sich bei Klement um einen der größten Kriegsverbrecher der Menschheitsgeschichte handeln könne: Joseph Eichmann.  Der Geologe ermittelt die Adresse und vertraut sich bei einem Besuch in Deutschland mit seinem Verdacht Giselher Pohl an – einem ehemaligen Studienkollegen und guten Freund.

Dass er das brisante Wissen nicht direkt an eine staatliche Stelle oder den israelischen Geheimdienst weitergegeben hat, hat einen ganz profanen Grund: Klammer fürchtet um seine berufliche Karriere, weshalb er Giselher Pohl, der inzwischen einer der ersten Militärpfarrer nach dem Krieg in Deutschland ist und über beste Kontakte verfügt, um Hilfe und Unterstützung bittet. „Ich kann das als Privatmann nicht irgendwo an die Öffentlichkeit bringen“, wird Klammer in der Süddeutschen zitiert.

Giselher Pohl entscheidet sich im Herbst 1959, seinen Chef, Bischof Hermann Kunst, ins Vertrauen zu ziehen. Der wiederum hat einen direkten Draht zu Staatsanwalt Fritz Bauer. Die Süddeutsche: „Fritz Bauer war der Einzige in der Bundesrepublik, der Eichmann wirklich vor Gericht sehen wollte und auch die Macht dazu hatte.“ In einem Gespräch mit ihrer Tochter hat Rosemarie Pohl gesagt: „Über die große Tragweite waren wir uns nicht bewusst.“

Der Generalstaatsanwalt Bauer besucht  die Pohls am 25. November 1959 in Unna und erhält von ihnen sämtliche Dokumente und Fotos, die die Identität und das Versteck von Adolf Eichmann belegen. Rosemarie Pohl ist die Begegnung mit dem Juristen in bleibender Erinnerung geblieben: „Bauer kannte man schon durch seine Stellung, und er war bekannt als sehr aufrichtiger und mutiger Mann.“

Für Giselher Pohl war es eine Selbstverständlichkeit, seinen Beitrag zur Ergreifung von Eichmann zu leisten. „Ich sehe das als meine Pflicht an“, soll er gesagt haben. Bereits eine Woche später übergibt Bauer dem Mossad die brisanten Dokumente. Ein halbes Jahr später ergreift ein Spezialkommando des Geheimdienstes Mossad den gesuchten Kriegsverbrecher.

Als Dank für seine tragende Rolle zur Ergreifung Eichmanns wird das Pastorenehepaar Pohl vom Staat Israel zu einer dreiwöchigen Reise in das noch junge Land eingeladen. „Wir wurden wie Staatsgäste empfangen“, hat Rosemarie Pohl in ihrem Tagebuch notiert. Zu Weihnachten gibt es noch eine Kiste Jaffa-Orangen für die Familie.

In Körbecke beigesetzt

Pfarrer Giselher Pohl wirkt fortan einige Jahre als Militärpfarrer, bevor er sich wieder der Gemeindearbeit widmet. In  dieser Funktion kommt er 1978 auch nach Welver. Die älteren Welveraner erinnern sich an ihn als an einen Pfarrer, der sich besonders um die Restaurierung der Kirche St. Albanus und Cyriacus, um die Kirchenorgel  sowie den Bau des Gemeindehauses verdient gemacht hat. Daran erinnert auch der Kirchenkreis mit Superintendent Manfred Selle in einer Anzeige, die er nach dem Tod im Oktober 1996 veröffentlicht hat.

Giselher Pohl wurde am 16. Oktober 1996 auf dem Friedhof in Körbecke beigesetzt. Er wurde nur 70 Jahre. Einige Jahre später ist ihm seine geliebte Ehefrau Rosemarie im Alter von 92 Jahren gefolgt. Auch sie wurde auf dem Friedhof in Körbecke von Pfarrer Werner Vedder (heute Niederbörde) bestattet.

Laut Süddeutsche Zeitung haben sich die Familien Klammer und Pohl 1959 ein Schweigegebot auferlegt. Ein Schweigebot, das bis heute gilt. „Die Kinder und Enkel haben den Zugang zu den Familiendokumenten nur unter der Bedingung ermöglicht, dass sie selber nicht näher identifiziert werden“, heißt es dazu abschließend im dreiseitigen Bericht in der Süddeutschen.

Auf drei Seiten hat die Süddeutsche Zeitung über die Ergreifung Eichmanns berichtet. Eine wichtige Rolle dabei hat Pfarrer Giselher Pohl gespielt.

Aus dem Privatbesitz der Familie stammt dieses Foto, mit dem der Bericht bebildert ist.