Ehrenamt bleibt der Schlüssel

Erstellt am 12.05.2023

Aktuellen Entwicklungen im Ehrenamt begegnen – das möchten Evangelische und Katholische Kirche gemeinsam

Professorin Dr. Andrea Walter von der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung bietet in einem Impulsvortrag wichtiges Hintergrundwissen für das Diskussionsthema der Pastoralkonferenz

Von Julie Riede

Möhnesee/Günne. Als Jesus am See Genezareth entlangging, sah er dort zwei Männer: Simon, der später Petrus genannt wurde, und dessen Bruder Andreas. Sie waren Fischer und warfen gerade ihre Netze aus. Da forderte Jesus sie auf: „Kommt, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschen machen, die andere für Gott gewinnen.“ Sofort ließen die beiden Männer ihre Netze liegen und gingen mit ihm. Nicht weit davon entfernt begegnete Jesus zwei anderen Fischern, den Brüdern Jakobus und Johannes und ihrem Vater. Auch sie forderte Jesus auf, ihm nachzufolgen. Ohne zu zögern, verließen sie das Boot und ihren Vater und gingen mit Jesus. (Math 4:18-22) Es folgen noch viele weitere Männer und Frauen, die von Jesus lernen wollen, das Wort Gottes zu verbreiten und anderen Menschen Gutes zu tun. Die Geburtsstunde des Ehrenamtes in der Kirche?

Um sich diesem wichtigen Thema zu widmen traf man sich gemeinsam zu einer ökumenischen Pastoralkonferenz im Heinrich-Lübke-Haus am Möhnesee. Eingeladen war neben kirchlichen Mitarbeiter:innen die Referentin Professorin Dr. Andrea Walter. Sie lehrt an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung und ist Professorin für Politikwissenschaft und Soziologie sowie Zivilgesellschaftsforscherin.

Walter beschrieb das Ehrenamt in ihrem Vortrag so: „Das Ehrenamt wirkt an vielen verschiedenen Stellen. Es gilt als Motor für Integration und stärkt den Zusammenhalt, es ist Demokratie- und Innovationsbeförderer. Kritisch wird es an der Stelle, wo es in den Verdacht gerät, Dienstleistungserbringer bzw. Unterstützung für einen „überforderten“ Wohlfahrtsstaat zu sein. Ehrenamt bedeutet freiwilliges Engagement. Es ist gemeinwohlorientiert. Es wird nicht honoriert, es gibt aber Aufwandspauschalen. Schöffen, Wahlhelfer, es ist überall da, wo Aufgabe von Institutionen übertragen werden.“

Erfunden wurde es von Freiherr von Stein. Der Staat übergab Aufgaben an Bürger, die dadurch „Ehre erlangten“, es „der Ehre wegen“ taten. Schon früh wurde klar: die Motivation war auch, sich einzubringen. Gemeinwohl, in der Regel auch gemeinschaftlich ausgeübt, löste den Gedanke der Erlangung von Ehre ab. Von Anfang an war es nicht ausgelegt auf materiellen Gewinn.

Als Motivation zum Ehrenamt sind verschiede Faktoren ausschlaggebend: Die Einstellung „Kein anderer macht es“ zeuge von großem Verantwortungsgefühl für die Allgemeinheit. Aber auch die Möglichkeit der Qualifikation sei verbunden mit einer positive Erfahrung im Ehrenamt, wie zum Beispiel die Qualifizierung zur Demenz-Begleitung, Seelsorge oder der freiwilligen Feuerwehr. Positiver Nebeneffekt laut Studien: Menschen, die sich qualifiziert haben, stecken mehr Zeit in ihr Ehrenamt.

Beispiele aus der Praxis zeigen Wandel und Probleme der heutigen Zeit

Das Ehrenamt ist statistisch gesehen stabil. Leitungspositionen zu besetzen sei allerdings auch hier schwer und vor allem Frauen seien in ehrenamtlichen Leitungspositionen immer noch recht rar.

Der Zeitumfang des Ehrenamtes sei niedriger geworden, ältere Menschen hätten nach der Rente mehr Zeit als Berufstätige, aber Bürokratie sei ein Punkt. Kernfragen hier: Wie erreicht man die Freiwilligen, wie kann man breitgefächert die verschiedenen Angebote an die Menschen bringen?

Tendenz heute - die individuelle Ebene ist immanent. „Wir sind gläubig, treten aber mitunter aus der Kirche aus. Wir sind politisch, aber in keiner Partei.“ Auch die Werthaltung habe sich verändert und damit die Frage: „Was bringt mir mein Engagement?“ Hinzu kämen Generationskonflikte; auffällig dabei: die Älteren seien nach Umfragen eher nicht dieser Meinung, sehr wohl aber die Jüngeren.  Hierarchien und Traditionen seien in einem stetigen Veränderungsprozess und veränderten damit auch das Ehrenamt.

„Da das Image der Kirche einen Wandel erlebt hat, ist das Ehrenamt hier anders geworden, es ist kein Prestige mehr, sich für die Kirche zu engagieren“, so Pfarrer Dr. Welk. Ehrenamt geschehe nicht mehr rein aus Frömmigkeit, Menschen wollten auch mitmischen, weil sie Dinge verändern wollen.

Beteiligung, Mitentscheidung und Selbstentscheidung sowie Transparenz seien heute wichtige Faktoren für die Motivation

Eigeninitiative und eigene Vorstellungen möchten eingebracht werden. Ein klar definiertes oder auch diktiertes Ehrenamt werde heute oftmals kritisch gesehen.

Die Schattenseite hinter dem Ehrenamt offenbart: Manche Menschen fühlten sich im Nachhinein nach jahre- oder jahrzehntelangem Ehrenamt nicht ausreichend wertgeschätzt oder sogar ausgenutzt nach dem Motto  „jahrelang waren wir selbstverständlich; wurden ausgenutzt ohne Dank.“ Dies sei ein Gefühl, dem entschieden entgegengewirkt werden müsse, durch eine bessere Dankeskultur. Wer bittet, der sollte sich des Dankes nicht zu schade sein.

Öffentliche Wertschätzung und Wahrnehmung der Gesellschaft für das getätigte Ehrenamt würden mehr und mehr gefordert. Die Unterstützung und das gegenseitige Geben seien Engagierten wichtig. Aufwandsentschädigung wie Fahrkosten oder Fördergelder müssten transparenter dargestellt werden inklusive Ansprechpartner:innen und Hilfestellung.

Ein gutes Beispiel für die Veränderung von Zahlen sieht man bei der Caritas. So berichtete ein Caritasmitarbeiter auf der Pastoralkonferenz: „Vor 23 Jahren sind es noch 1500 Engagierte gewesen, 98% davon Frauen. 23 Jahre später sind es nun 600 weniger.“ Die Struktur habe sich allerdings gewandelt. So seien beispielsweise bei der Tafel und der Flüchtlingshilfe mehr ehrenamtliche Hefer:innen geworden bzw. neue dazu gekommen. Es seien ganz unterschiedliche Menschen, die teils auch nicht christlich seien, oder denen mitunter nicht einmal bekannt war, dass die Caritas im kirchlichen Auftrag handelt.

„In der Jugendarbeit hat das Engagement junger Menschen zugenommen“, beobachtet Pfarrer Burkhard Krieger. Er benennt Teamer als ein Beispiel (Anmerkung der Redaktion: Als Teamer werden Personen bezeichnet, die Schulungen durchführen oder Gruppen betreuen und anleiten).
Fast jeder zweite Jugendliche ist laut Studien bis zur Ausbildung engagiert, Motivation hier: Fähigkeiten zeigen und austesten. Und auch der eigene Spaß sei dabei ein wichtiger Faktor. Am Ende der Schulzeit sei für junge Menschen die Balance zwischen Studium, Arbeit und Freizeit allerdings schwierig, Probleme wie Zeitmangel und auch fehlende Ansprechpartner:Innen machten den Zugang zum Ehrenamt hinderlich. Fazit: sobald Jugendliche eigenverantwortlich seien und größere Aufgaben übernehmen könnten, seien sie meist in Ausbildung oder Studium und damit fast immer raus aus dem Ehrenamt.

Jugendreferentin Conny Abdullah schlug von einen Lösungsansatz vor. „Bei uns wurden Ortsgrenzen in den letzten drei Jahren immer weiter aufgebrochen. Dabei kommen allerdings Fahrkosten ins Spiel und die Frage, wer diese bezahlt.“ Man müsse sich die Frage stellen: „Wie viel können wir leisten, wie viel kann wer leisten beziehungsweise zahlen, Stichwort: Kostenaufteilung innerhalb der Gemeinden.“

Nach Corona sind laut Professorin Dr. Andrea Walter viele Ältere aus dem Ehrenamt ausgetreten, in Seniorenheimen seien die Zahlen gesunken, auch im Sportbereich. Vor allem Frauen hätten während Corona ihr Engagement zurückgefahren. Laut Ehrenamtsatlas 2022 zog sich für die „Care-Arbeit“ jede vierte Frau in NRW vom Engagement zurück. Aktuell gingen die sogenannten „Baby Boomer“ in Rente. Die, die nicht in Rente gingen und von Altersarmut betroffen seien, engagierten sich nicht, könnten sich ohne Aufwandsentschädigung dies auch schlicht nicht leisten, stattdessen würden sie nach der Rente noch in Minijobs arbeiten.

Eine Diskussion, die die Katholischen Kirche bewegt: man stehe aktuell vor der großen Frage der Aufwandsentschädigung, die Fahrkosten oder Fördergelder übersteige. Für Sitzungen beim Staat gäbe es Sitzungsgelder. Müssten Ehrenamtliche für Ämter heutzutage Geld erhalten?

„Kirche muss flexibler werden, so Superintendent Dr. Manuel Schilling vom Evangelischen Kirchenkreis Soest-Arnsberg. „Aber die Frage nach dem Salär ist noch eine große Frage und Hürde. Hier ist die Angst vor dem „Dammbruch“ groß - muss dann für alles gezahlt werden, oder: für was gibt es Geld und wenn ja, wieviel?“

Fazit am Ende des informativen und intensiven Austausches zwischen den Anwesenden der Pastoralkonferenz: Es sei ein Balanceakt, alte Strukturen und neue miteinander zusammen zu bringen. Dies sehe man ebenfalls in den Presbyterien. Zudem führten unterschiedliche Zeit- und Lebensstrukturen zu Schwierigkeiten. Das bürgerschaftliche Engagement sei vielfältiger geworden. Daher sei auch eine größere Konkurrenz vorhanden. Hinzu käme die Frage: „Nicht jedes Ehrenamt ist für jeden geeignet. Welches Amt passt zu wem?“ Hier sei es wichtig, herauszuarbeiten, was für wen geeignet und interessant sein könnte – was konkret geboten würde - eine Sache von Angebot und Nachfrage.

Plattformen wie Ehrenamtsbörsen oder die Bundes-Engagementstrategie der Stiftung für Deutsches Engagement und Ehrenamt sollen dabei helfen. Die Bundesregierung investiert hier nach dem Motto: „Mit Euch, für alle!“
Weitere Informationen dazu: https://www.bmfsfj.de/

Bis heute engagieren sich Erwachsene und Jugendliche freiwillig und bringen sich mit ihren Gaben und ihrer Zeit im Namen des Glaubens und der Nächstenliebe ein. Sie vollbringen keine Wunder und können keine Kranken heilen, doch das Vorbild Jesu bringt viele neue Triebe hervor. Etwa 30 Millionen Menschen engagieren sich ehrenamtlich in Deutschland. Allein in den Kirchengemeinden der Evangelischen Kirche von Westfalen sind es über 70.000 Menschen. Laut einer Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche von Westfalen aus dem Jahr 2022 sind bundesweit knapp 40 Prozent der Menschen in der Zivilgesellschaft ehrenamtlich engagiert, bei Katholiken sind es sogar 45 und bei Protestanten 46 Prozent. In den Corona-Jahren ist die Zahl der freiwillig Engagierten um gut zehn Prozent zurückgegangen. Darüber, wie sich die Reihen der Ehrenamtlichen wieder füllen können, machen sich sowohl Evangelische als auch Katholische Kirche Gedanken.