Deutschland lässt den Iran im Stich

Erstellt am 17.05.2023

Professorin Nacim Ghanbari fordert im Petrushaus ein Umdenken in der Politik

Martin Huckebrink erläutert hier für die Soester Amnesty-Gruppe die Menschenrechtsverletzungen in Iran. Fotos: Thomas Brüggestraße

Von Thomas Brüggestraße

Soest . Öffentlichkeit herstellen, das sei am allerwichtigsten – am besten mit immer neuen und aktuellen Videoclips über alle Kanäle und Plattformen. Gewalt, Übergriffe und Missstände im Alltag der Menschen im Iran müssten tagesaktuell gezeigt und in die Welt hinaustragen werden, das findet Nacim Ghanbari, in Teheran geboren und heute Professorin für deutsche Literatur an der Universität in Siegen. Sie war Referentin bei einem gemeinsam Iran-Abend der Soester Gruppe von Amnesty International und der Evangelischen Erwachsenenbildung im Petrus-Haus in Soest.

Ghanbaris eindringlicher Appell: Der Blick müsse sich immer wieder richten auf die vielen kleinen und großen Streiks und Protestaktionen, die es längst überall im Land gebe, seitdem Frauen nach dem Tod einer jungen Demonstrantin ihre Kopftücher abgenommen hätten und mit dem Ruf „Frau.Leben.Freiheit.“ gegen Polizeiwillkür, Gewalt, Folter und Totschlag und Hinrichtungen aufbegehrten, sich mutig gegen das Regime der Kleriker stellten. Ghanbari: „Diese oft unter Lebensgefahr gedrehten privaten Clips sind die besten Zeugnisse für das, worüber die großen Agenturen und Medien nicht oder nur ganz selten berichten.“

Eine breite, mutige Debatte müsse es endlich in Deutschland geben, Demonstrationen, Protestaktionen überall und eine deutliche Unterstützung all derer, die im Iran immer und immer wieder für Respekt, Menschenrechte und Freiheit auf die Straße gingen. Ghanbari kritisierte, Deutschland und Europa hielten sich viel zu sehr zurück, ließen das Regime in Teheran gewähren und machten eifrig Geschäfte mit den Unterdrückern.

Nur schwer auszuhalten

Deutschland unterhalte europaweit die intensivsten wirtschaftlichen Kontakte zur Islamischen Republik, das sei deutlich zu beklagen. Ihr Vorwurf: „Die EU und Deutschland lassen die Protestwegung im Iran im Stich, sie lassen die Menschen im Stich.“ Ein Umdenken in der Zivilgesellschaft sei nötig, ein Umdenken in der deutschen Politik.

Zwei Stunden lang war die Situation im Iran Thema des Abends. Martin Huckebrink erinnerte für Amnesty an den Zündfunken von „Frau.Leben.Freiheit.“: Der Tod der jungen iranischen Kurdin Masha Amini am 16. September 2022 habe Proteste ausgelöst und als Reaktion eine Welle von Gewalt und Polizeiwillkür. Man habe Masha Amini vorgeworfen, ihr Haar nicht entsprechend den Bestimmungen bedeckt zu haben. Sie sei im Polizeigewahrsam misshandelt worden und an den Verletzungen gestorben.

„Sieben Minuten und einunddreißig Sekunden“, diesen Kurzfilm stellte Filmemacherin Solmaz Gholami vor: Maral wird an ihrem 18. Geburtstag vom Onkel vergewaltigt, ersticht ihren Peiniger noch während des Akts. Im Iran wird solche Notwehr mit dem Strick bestraft, und sie hängen einen nicht so auf, dass das Genick bricht. Nein, sie ziehen einem den Stuhl unter den Füßen weg und lassen einen baumeln. Sieben Minuten und einundreißig Sekunden zappeln immer wieder die Füße der jungen Maral in Großaufnahme Zentimeter über dem Boden, während ihr Szenen aus ihrem Leben durch den Kopf gehen. Gholami ist enttäuscht: „Deutsche Festivals wollten den Film nicht zeigen.“

Niemand solle mehr sagen können, nichts gewusst zu haben, das treibt die Professorin Nacim Ghanbari an. „Unsere Veranstaltung soll ein Zeichen der Solidarität mit den Menschen im Iran sein, sie sich in Lebensgefahr begeben, weil sie Menschenrechte in ihrem Land einfordern“, so beschrieb es Martin Huckebrink für Amnesty International. Die Gruppe rief dazu auf, im Foyer ausgelegte aktuelle Appellbriefe für iranische Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu unterschreiben – im Netz ist nachzulesen, wie man diese mühevolle Dauer-Arbeit der Gruppe weiter unterstützen kann.

www.amnesty-soest.de

Die Bilder der jungen Malerin Yasman Aghayari sollen ein Aufschrei sein und die verzweifelte Lage der Frauen in Iran widerspiegeln, aber auch ihren Mut und ihre Kraft. Bilder von ihr wurden im Petrushaus gezeigt.