Wohlfahrtsverbände schlagen Alarm

Erstellt am 21.09.2023

Kritik an drastischen Haushaltskürzungen im Migrationsbereich: Beratungsstellen vor dem Aus

Sprachen im Caritas-Kaufhaus Werl über die drohenden dramatischen Auswirkungen der angekündigten Etatkürzungen für die Migrationsberatung: (von links, vorne) Georg Karbowski (Caritas), Bettina Wiebers (Caritas), Hans-Jürgen Thies (MdB), Katherina Cirivello (AWO), (hinten) Dr. Johannes Kudera (Diözesancaritasverband), Stefan Goesmann (AWO), Olga Kinos (Caritas), Jacqueline Bartz (AWO), Ekaterini Kalaitzidou und Heinz Drucks (beide Diakonie). Foto: Caritas/Bottin

Soest/Arnsberg. „Die geplanten Kürzungen wären absolut paradox, weil bei einem deutlich gestiegenen Beratungsbedarf die Mittel für die Migrationsberatung drastisch reduziert würden. Beratungsstandorte müssten aufgegeben werden und Hilfesuchende wären auf sich alleine gestellt. Das würde zwar kurzfristige Einsparungen mit sich bringen, aber langfristig erheblich höhere Ausgaben verursachen“, erläutert Caritas-Migrationsberaterin Olga Kinos, welche Folgen die angekündigten Haushaltskürzungen hätten.

Ihr Kollege Heinz Drucks von der Flüchtlingsberatung der Diakonie Ruhr-Hellweg wird noch deutlicher: „Wenn die Pläne eins zu eins so umgesetzt werden, wäre das eine Katastrophe. Hilfesuchende Menschen stünden dann in Schlangen vor verschlossenen Türen. Schon jetzt arbeiten wir am Limit, weil der Bedarf an Beratung immer weiter steigt.“

Für das Jahr 2024 sieht der Entwurf für den Bundeshaushalt massive Kürzungen in vielen sozialen Programmen vor. Die Folge? Viele Beratungs- und Unterstützungsangebote für Zugewanderte in der Region würden wegfallen. Deshalb haben jetzt drei heimische Wohlfahrtsverbände (Caritas im Kreis Soest, Diakonie Ruhr-Hellweg und AWO Hochsauerland/Soest) das Gespräch mit heimischen Bundestagsabgeordneten gesucht.

Welche Kürzungen sind konkret geplant?

Die Migrationsberatung für Erwachsene Zuwanderer (MBE) soll um rund 30 Prozent gekürzt werden, 10 Millionen Euro weniger sind für die Jugendmigrationsdienste (JMD) eingeplant.  Das Programm Respekt Coaches (Extremismusprävention an Schulen) soll 2024 komplett gestrichen werden.

Für Migranten und Migrantinnen sind die Beratungsstellen eine der wichtigsten Säulen im Integrationsprozess: Sie helfen bei Wohnungs-, Ausbildungs- und Arbeitsplatzsuche. Sie beraten zu Bildungs- und Gesundheitsthemen oder vermitteln Sprachkurse. Die Beratung von neu Zugewanderten steht Menschen also in vielfältiger Form bei einem Neuanfang in Deutschland zur Seite.

Der Jugendmigrationsdienst richtet sich an junge, geflüchtete Menschen. Angeboten werden Sprach- und Kommunikationstraining oder freizeitpädagogische Maßnahmen. Mit dem Projekt Respekt Coaches soll Demokratie für Schülerinnen und Schüler konkret erlebbar gemacht werden: durch Workshops oder AGs zu Themen wie Meinungsfreiheit, Rassismus oder Radikalisierung.

Fest steht: Der Bedarf an Migrationsberatung- und unterstützenden Programmen steigt in der Region seit Jahren immer weiter.  Deshalb möchten die Diakonie Ruhr-Hellweg, die Caritas im Kreis Soest und die AWO Hochsauerland/Soest die geplanten Kürzungen unbedingt verhindern. Eine flächendeckende Beratung wäre gefährdet, vor allem in ländlichen Regionen.

Um ihr Anliegen zu bekräftigen, trafen sich Vertreter der drei Wohlfahrtsverbände am Aktionstag der MBE jetzt mit den heimischen Bundestagsabgeordneten Hans-Jürgen Thies (CDU) und Wolfgang Hellmich (SPD) in Beratungsstellen von Caritas und Diakonie in Werl und Lippstadt. „Wir sind alle selbst in der Beratung aktiv und ganz nah an den Menschen, die täglich zu uns kommen. Deshalb können wir auch eindringlich erklären und fachlich begründen, wie wichtig unsere Arbeit für die zugewanderten Menschen ist. Es müsste aufgestockt, nicht gekürzt werden“, erzählt Ekaterini Kalaitzidou, Flüchtlingsberaterin bei der Diakonie.

Hans-Jürgen Thies betonte in Werl, wie extrem wertvoll und wichtig die Beratungsarbeit der Wohlfahrtsverbände sei. Er könne deren Anliegen total verstehen und nachvollziehen. Allerdings sei der Bundeshaushalt auf Kante genäht, und ohne Kürzungen werde es nicht gehen. Hoffnung konnte Thies seinen Gesprächspartnern trotzdem machen: „Das ist ein Entwurf. In den Haushaltsberatungen werden die Einzeletats genau angeschaut. Da gibt es noch Stellschrauben. Wir als Union haben das auf dem Schirm und werden fordern, dort nachzubessern.“

Auch Wolfgang Hellmich hörte sich in Lippstadt die Sorgen der Wohlfahrtsverbände an und signalisierte Verständnis: „Ich verstehe die Problematik, kann aber keine vollständige Rücknahme der Kürzung versprechen.“

Was die Wohlfahrtsverbände konkret befürchten:

•             Die AWO Hochsauerland/Soest sieht die MBE-Beratungsstelle mit ihrem Standort in der englischen Siedlung in Soest bedroht. In diesem Jahr gab es dort bisher über 220 Einzelfallberatungen, zzgl. nochmals in etwa dieselbe Anzahl an Ratsuchenden, die nicht mehr der originären Zielgruppe der MBE angehören, da sie beispielsweise länger als drei Jahre in Deutschland leben. Das sind schon jetzt mehr als im gesamten Vorjahr. Das Projekt „Respekt Coaches“ könnte im nächsten Jahr nicht mehr an den Realschulen am Dusternweg in Lippstadt fortgeführt werden. In den letzten Jahren hat die AWO mit dem Projekt über 670 Schülerinnen und Schüler erreicht.

•             Auch die Caritas im Kreis Soest hat bereits in den ersten acht Monaten dieses Jahres in der Beratungsstelle in Werl fast so viele Beratungen durchgeführt wie im ganzen Jahr 2022 (knapp 200). Weil die Problemlagen so vielfältig sind, ist diese Unterstützung so wichtig. Sie leistet einen wertvollen Beitrag zum Gelingen von Integrationsprozessen, zum Funktionieren der sozialen Institutionen vor Ort und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dafür benötigt die Migrationsberatung unbedingt eine auskömmliche und bedarfsorientierte finanzielle Ausstattung.

•             Die Diakonie rechnet damit, dass das Beratungsangebot in der Folge komplett eingestellt wird. Schon heute müssen, aufgrund der bestehenden Unterfinanzierung für die Wahrnehmung der Aufgabe mehr als 40 Prozent der Gesamtkosten durch die Diakonie getragen werden. Bisher berät die Diakonie jährlich in rund 200 Fällen: Tendenz steigend.