Wie man einen Pudel hämmert

Erstellt am 05.10.2023

Historisches Buch „Jenseits vom Tellerrand“ ist spannende Warsteiner Zeitreise

Der Arbeitskreis „Historische Gräber“ mit Autor Gerd Flaig (3. von links), Ortsvorsteher Dietmar Lange sowie Pfarrer Uwe Müller(von links) freut sich über die Veröffentlichung des Buchs „Jenseits vom Tellerrand“. Fotos: Ingrid Schmallenberg

Von Ingrid Schmallenberg

Warstein. „Wenn Sie immer schon wissen wollten, wie man einen Puddel hämmert – hier haben Sie die Antwort.“ Mit diesen Worten präsentierte Pfarrer Uwe Müller im Philipp-Melanchthon-Haus das neue Buch des Arbeitskreises „Historische Gräber“. Dabei machte er aus seiner Begeisterung für das Werk keinen Hehl. Dass das Gemeinschaftswerk selbst Menschen mit geringem Technik-Verständnis einen interessanten Einblick in die industrielle Entwicklung Warsteins ermöglicht - beginnend nach dem Dreißigjährigen Krieg bis in die Neuzeit – das, so Müller, sei einzig dem Autor Gerd Flaig zu verdanken. Dieser habe darüber hinaus die Verknüpfungen von Industrie, Bevölkerung und Evangelischer Kirchengemeinde aufgezeichnet - was in Warstein bislang einzigartig sei.

Nachdem die ersten frisch gedruckten Exemplare zum Probelesen verteilt waren, erläuterte Flaig die Inhalte: „Es ist keine wissenschaftliche Geschichtsdarstellung, sondern beschreibt die Entwicklungen aus einem evangelischen Blickwinkel.“ Im Arbeitskreis, dem auch Pfarrer Uwe Müller, Karola Haverbeck und Doris Raeder-Flaig angehören, habe man bemerkt, dass die Entstehung wesentlicher Industriebetriebe in den ersten 170 Jahren ausschließlich durch Zuwanderung von außerhalb gestartet wurden und die zugewanderten Industriellen durchweg Protestanten waren.

Erst nach 1830 gab es mit Linnhoff in Belecke und Bergenthal in Warstein erste bedeutende Industriegründungen durch katholische Fabrikanten, die jedoch zuvor etliche Jahre zur Ausbildung und Erfahrungssammlung auswärts „über den Tellerrand“ geschaut hatten. Dass die Industrie-Aktivitäten in den Ortsteilen Warstein, Suttrop, Belecke, Sichtigvor, Mülheim und Allagen den gleichen Ursprung haben und eng zusammen hängen, sei ebenfalls im Verlauf der Arbeit am Buch deutlich geworden: „Roheisen-Herstellung, hämmern, schmieden und pressen von Eisenprodukten, Energienutzung durch Wasserkraft und Holzkohle sowie schwerwiegende Transportprobleme, das war im Möhne- und Wästertal gleichermaßen gegeben“, erläuterte Flaig.

Schüsse auf den Pfarrer

Unabhängig von politischen oder jeweiligen Gebietsinteressen passten diese Orte durch die Ressourcen und die sich bildenden Wirtschafts- und Arbeitnehmer-Strukturen schon lange zusammen. Nicht zuletzt beschreibt der Autor, die Auswirkungen der Industrieausweitung auf die Arbeiterschaft und die Bevölkerung. Er schildert die Veränderungen in der Gesellschaft durch die recht problematisch bis feindselig betrachtete evangelische Arbeiter-Zuwanderung in der Preußenzeit und parallel dazu die Entwicklung der evangelischen Kirchengemeinde durch diese Zuwanderung. Flaig: „Es gibt da vielfache Zusammenhänge!“

Beispielhaft für das geradezu fanatisch anmutende Verhältnis zwischen den „Katholischen“ und der protestantischen Minderheit scheinen die Aufzeichnungen des Evangelischen Pfarrers Geck aus dem Jahr 1847: „Am 12. November musste ich dem Amtmann anzeigen, dass ein zwei bis drei Pfund schwerer Stein auf mich geschleudert worden war, aus einer Höhe von 60 Fuß, der dicht vor mir niederfiel.“ Am 18. November, abends um 7 Uhr, sei auf ihn geschossen worden. Am 20. November feuerte ein Ungekannter „von dem Berge her“ in sein offen stehendes Wohnzimmerfenster gar eine Menge dicker Schrotkörner ab: „Der Thäter verschwand im Wald, rühmte sich aber später seiner Untat.“ Die Polizei verurteilte ihn wegen „Schießens in der Nähe von Wohnungen“ zu einer Geldstrafe von drei Thalern.

Im gleichen Jahr gab Geck zu Protokoll, dass ein Neugeborenes, welches evangelisch getauft werden sollte, von „zwei vermummten Weibern aus der Wiege gerissen“, entführt und zwecks Zwangstaufe zum katholischen Pfarrer gebracht wurde. Der erteilte den Segen, wobei er die vermummten Weiber zu Patinnen ernannte. Geck erstattete Anzeige, musste aber erkennen, dass er sich dieser Angelegenheit nicht auf den Schutz der Arnsberger Regierung verlassen konnte. Gerd Flaig: „Soviel zu den Aggressionen gegen die Evangelische Kirchengemeinde am Anfang ihrer Gründung in Warstein. Das ging nicht so schnell vorbei,sondern zog sich abschwächend sogar bis nach dem zweiten Weltkrieg hin.“

Zur feierlichen Buchpräsentation hatte Ortsvorsteher Dietmar Lange eine „Kleinigkeit“ in Form eines goldenen Messkelches aus der alten Kirche mitgebracht. Ein Geschenk des  Kupferunternehmers Johann Christian Möller an die Katholische Kirchengemeinde aus dem Jahr 1810. Im Gegenzug durfte seine evangelische Gattin auf dem katholischen Friedhof beerdigt werden. Für seine Hilfe beim Durcharbeiten des Buches bedankte sich der Autor beim Ortsvorsteher ebenso, wie bei Josef Schulte. Der Studiendirektor im Ruhestand hatte seinen „Präzisionsblick“ für letzte Korrekturen zur Verfügung gestellt.

Weiterer Dank galt der Schirmherrschaft durch den Heimatverein Suttrop, der eine Bezuschussung durch  die NRW-Stiftung in Höhe von 3000 Euro erst möglich gemacht hatte. Als Vertreterin des „Geldgebers“ bot Regionalbotschafterin Angelika Hummelsheim dem Arbeitskreis weiterhin „gute Zusammenarbeit“ an. Dank gebührt nach den Worten Flaigs auch dem Presbyterium für die  Zustimmung zum Projekt. Weil sich alle Beteiligten kostenlos eingebracht haben, kann der Verkaufserlös für den dringend nötigen Erhalt der Friedhofsmauer gespendet werden.

Abschließend verriet der Autor: „Ich habe im Buch auf Basis meines Berufes auch einen Blick auf technische Raffinessen und betriebswirtschaftliche Zusammenhänge mit eingeflochten, weil damit einige überraschende Erkenntnisse zu den technologischen Fähigkeiten unserer Betriebe klar wurden, auf die Warstein stolz sein kann!“

Erhältlich ist das Buch in der Buchhandlung Dust, im Büro der Kirchengemeinde sowie bei Gerd Flaig