Jeder Mensch hat einen Namen

Erstellt am 01.12.2023

Gemeinde Möhnesee erinnert an Hetzjagd auf jüdische Mitbürger

Pastor Ludger Eilebrecht und Linus Kahlau spielten zum Abschluss der Gedenkfeier im Ratssaal „Hevenu shalom alechem - Wir wollen Frieden auf Erden". Foto: Thomas Brüggestraße

Von Thomas Brüggestraße

Möhnesee. „Die Hetzjagd auf Juden erreichte vor 85 Jahren auch Körbecke. Aus dem Hauptquartier Adolf Hitlers in München war 1938 der Befehl in alle Landesteile gegangen, die Juden aus ihren Häusern zu vertreiben, ihre Wohnungen, Geschäfte und Synagogen zu zerstören, jüdische Menschen in so genannte Schutzhaft zu nehmen. Die folgende Kristallnacht zum 10. November markierte den Beginn des Holocaust mit der systematischen Verfolgung und Vernichtung von mehr als sechs Millionen europäischer Juden", daran erinnerte Archivleiterin Dr. Lena Lewald jetzt im Ratssaal in Körbecke, wo die Gedenkveranstaltung an die Reichspogromnacht statt.

Lena Lewald weiter: „Die letzte jüdische Familie hier vor Ort, die Familie Meyerhoff, kam in Schutzhaft und wurde vertrieben. Unsere Erinnerung an alle jüdischen Familien soll gewährleisten, dass die jüdische Geschichte der Gemeinde Möhnesee nicht unsichtbar wird. Wir dürfen niemals das schreckliche Schicksal, das Leid der Ermordeten und den unermesslichen Schmerz der Opfer des Holocaust vergessen." Und doch herrsche gerade jetzt noch immer Krieg und Unterdrückung, es gebe Ausgrenzung, Verfolgung und Flucht auf der Welt. Der schreckliche Terrorangriff der radikalislamischen Hamas im Oktober auf Israel rücke dies in ein schmerzliches aktuelles Licht.

Die alarmierende Entwicklung auf der Welt mache viele Möhneseer fassungslos und betroffen. Lewald: „Der Graben verläuft nicht zwischen den Religionen, der Graben verläuft zwischen denen, die Terror ausüben und denen, die sich für Demokratie und Freiheit einsetzen.“ Seit Anfang Oktober hätten antisemitische Vorfälle auch in Deutschland erheblich zugenommen. Es existiere erneut eine reale Gefahr für jüdische Einrichtungen in Deutschland. Lewald beklagte: „Jüdinnen und Juden bleiben aus Gründen der Sicherheit zu Hause, in Deutschland, im Herbst 2023."

Vier Konfirmanden und eine Konfirmandin aus der Evangelischen Möhne-Kirchengemeinde erinnerten in kurzen Portraits an die jüdischen Familien, die neben den Meyerhoffs in Körbecke gelebt haben und deren Namen auf dem Gedenkstein des Heimatvereins auf dem jüdischen Friedhof eingraviert sind: Die Familie Amberg, die Familien Nordheim Busack, die Familie Bendheim, die Familien Stern und Feldmann. Ihren Rückblick auf diese Familien und auf brutal ausgelöschtes jüdisches Leben im Ort wollen die Jugendlichen fortsetzen, wenn am 18. Dezember die Stolpersteine für Meyer Meyerhoff, genannt Max und Henriette Meyerhoff vor ihrem Wohnhaus am Kirchplatz 10 verlegt werden.

Jugendsozialarbeiter Andreas Riedl zitierte in seiner Ansprache die israelische Dichterin Zelda Schneurson Mishkovsky. Ihr Gedicht „Jeder Mensch hat einen Namen" werde in Israel im April am nationalen Gedenktag Shoa und Heldentum immer feierlich rezitiert, und es solle die Gedenkfeier abrunden und eine Brücke von der Vergangenheit ins Heute schlagen.

Pfarrer Ludger Eilebrecht und Linus Kahlau, Schüler an der Sekundarschule in Körbecke, spielten auf der Gitarre „Hevenu shalom alechem - Wir wollen Frieden auf Erden." Walter E. Lutter, der die Geschichte der Juden in Körbecke und das Schicksal der Familie Meyerhoff in zwei Büchern beleuchtet hat, hatte auch eine Zeichnung angefertigt, wie früher einmal der Eingang zum jüdischen Friedhof ausgesehen hatte. Der Eingang und das schmiedeeiserne Tor mit Davidsstern sollen an Ort und Stelle wiedererstehen. Dr. Lena Lewald treibt die fachlich korrekte Umsetzung des Projekts voran.

HINTERGRUND

„Lechol isch jesch schem“ – „Jeder Mensch hat einen Namen“. Ein hebräisches Gedicht von Zelda Schneurson Mishkovsky,  ins Deutsche übersetzt. Jeder Mensch hat einen Namen, der ihm von Gott gegeben wurde und den ihm sein Vater und seine Mutter gaben.  Jeder Mensch hat einen Namen, den ihm seine Statur, sein Lächeln und sein Charakter gaben.  Jeder Mensch hat einen Namen, den ihm die Berge und seine Mauern gaben.  Jeder Mensch hat einen Namen,  den ihm die Sternzeichen und seine Nachbarn gaben. Jeder Mensch hat einen Namen, den ihm seine Sünden und seine Sehnsucht gaben.  Jeder Mensch hat einen Namen, den ihm seine Feinde und seine Liebe gaben.  Jeder Mensch hat einen Namen, den ihm seine Feste und seine Arbeit gaben.  Jeder Mensch hat einen Namen,  den ihm die Jahreszeiten und seine Blindheit gaben.  Jeder Mensch hat einen Namen, den ihm das Meer und sein Tod gab.  Jeder Mensch hat einen Namen.