"Ich habe Putin nicht gewählt"

Erstellt am 09.02.2024

Warum die Erinnerung an die Wolgadeutschen auch in schwierigen Zeiten wichtig ist

Der Chor des Vereins „Kultur A-Z“ tritt regelmäßig bei Veranstaltungen auf und pflegt damit die russische Kultur. Foto: Privat

Soest. In Soest leben über 3000 so genannte Russlanddeutsche; also Menschen, die selbst oder deren Vorfahren in Russland gelebt haben oder dort geboren wurden. Ihre familiären Wurzeln, die bis in das 18. Jahrhundert zurückreichen, aber haben alle in Deutschland. Der „Kultur- und Geschichtsverein der Deutschen aus Russland“, der sich kurz „Kultur A-Z“ nennt, versucht, die Geschichte und Kultur dieser Menschen zu bewahren. In einem Interview mit Hans-Albert Limbrock sagt Antonina Domke, die sich um die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins kümmert, warum das auch in schwierigen Zeiten wichtig ist.

Seit wann gibt es den Verein Kultur A-Z in Soest und welche Aufgaben hat er?

Domke: Als Arbeitskreis gibt es uns seit 2006, seit 2007 sind wir offiziell ein Verein und hatten bis 2018 eine Begegnungsstätte in der Adamkaserne. Das Angebot des Vereins beinhaltet Musik- und Theaterabende, Vorträge, Diskussionen, Feste, Ausstellungen, Chorproben und Chorauftritte.

Warum nun diese Veranstaltungsreihe zu 100 Jahren Wolgadeutsche Republik? Ist das nicht alles etwas weit weg und liegt lange zurück.

So kann man natürlich argumentieren. Aber wir sind davon überzeugt, dass man sich mit seiner Geschichte auseinandersetzen muss, wenn man die Gegenwart verstehen will. Wie heißt es doch so schön: Wenn ich nicht weiß, woher ich komme, weiß ich nicht, wohin ich gehe.Und da ist die Geschichte der Wolgadeutschen ein wichtiger Aspekt. Viele, die in den 90er Jahren aus Russland, aus Kasachstan oder Kirgisien nach Deutschland und auch nach Soest gekommen sind, teilen diese Geschichte. Aber in der Öffentlichkeit weiß man nur sehr wenig darüber. Ich möchte betonen, dass dieses Thema auch in der einstigen Sowjetunion lange Zeit tabu war.

Und diese Geschichte wollen Sie mit ihren Veranstaltungen demnach transparent machen?

Ja, genau. Es ist ja immer nur von den Russland-Deutschen die Rede. Aber jede Familie hat da ihre ganz eigene Geschichte. Es gab zahlreiche deutsche Kolonien im russischen Reich. Nicht nur an der Wolga, auch in der Ukraine, auf der Krim oder im Kaukasus. Mit unserer Veranstaltungsreihe wollen wir die Geschichte und Kultur dieser Menschen erzählen und die Erinnerung wachhalten. Im Vordergrund steht natürlich die Geschichte der Wolgadeutschen. Deren Geschichte soll erzählt werden.

Und das in diesen nicht gerade einfachen Zeiten?

Der Krieg in der Ukraine geht uns auch ans Herz und wir leiden mit den Menschen mit, aber auch mit denen in Russland, die diesen Krieg nicht gewollt haben. Wir hoffen sehr darauf, dass die Besucher unserer Veranstaltungen zwischen dem Krieg und dem, was wir wollen und wofür wir stehen, differenzieren können.

Wofür steht der Verein Kultur A-Z?

Für Verständigung und Versöhnung. Wir wollen Brücken bauen zwischen verschiedenen Ansichten und Einstellungen. Denn nur, wenn man sich mit der Kultur eines anderen beschäftigt, kann man sich auch verstehen lernen. Wir leben hier alle zusammen. Das verpflichtet unsdazu, einen gemeinsamen Nenner zu suchen und diesen zu verfestigen.

Spüren Sie, dass man russlandstämmigen Menschen aktuell negativ gegenübersteht?

Es ist nicht neu für uns, dass wir von einigen skeptisch beurteilt werden. Das hat es immer schon gegeben und wird es wohl leider auch weitergeben. Manchmal erwartet man von uns, dass wir uns automatisch äußern und klar positionieren. Aber eigentlich ist unser Tun und Wirken seit mehr als 17 Jahren ein Statement genug: Wir sind gegen den Krieg! Ich kann mich aber auch gerne wiederholen: Ich habe Putin nicht gewählt. Das ist nicht mein Putin. Doch wir lebten früher Seite an Seite mit verschiedenen Völkern, auch mit Russen und ich habe eine große Affinität zu deren Kultur, die es seit Jahrhunderten gibt. Wir alle sollten zwar aufeinander aufpassen, aber dabei objektiv bleiben, denn es gibt ja noch solche Namen, auf die die Welt auch stolz sein kann: wie Tolstoj, Tschechow, Puschkin und Dostojewskij oder Tschajkowskij, Glinka oder Rachmaninow.

 

Antonina Domke ist Sprecherin des Vereins Kultur A-Z. Foto: Hans-Albert Limbrock