Wenn Kirchen beerdigt werden

Erstellt am 19.01.2024

Kirchengemeinde Lippstadt trennt sich von gleich vier Gotteshäusern

Eines von vier kirchlichen Gebäuden, die in Lippstadt aufgegeben werden: die Friedenskirche von Bad Waldliesborn.

Von Hans-Albert Limbrock

Lippstadt. Von einer Zäsur zu sprechen, kommt fast schon einer maßlosen Untertreibung gleich. Vielmehr hat die Schließung und Entwidmung von gleich vier Gottesdienst-Stätten die Kirchengemeinde Lippstadt in ihren Grundfesten massiv erschüttert. Dieses ist vor allem in den vier betroffenen Orten Bad Waldliesborn, Hörste, Lipperbruch und Benninghausen bei den Abschieds-Gottesdiensten spürbar. Überall sind Enttäuschung und Trauer, aber auch Bitterkeit und teilweise Wut greifbar.

In Bad Waldliesborn kanalisiert sich dies im Fernbleiben vieler vom letzten Gottesdienst, der in der Friedenskirche stattfindet. In Vertretung von Superintendent Dr. Manuel Schilling, der bei einer Konferenz der Superintendenten der Landeskirche weilte, spricht Kai Hegemann, Pfarrer der Soester Emmaus-Gemeinde, vor spärlich besetzten Bänken zu der Gemeinde; nur knapp 50 sind gekommen. Hegemann zitiert in seiner Predigt aus Psalm 121. Ein Segen für Reisende, Anfang und Ende. Hegemann spricht  von schmerzlichen Entscheidungen, steinigen Wegen, Gottes Begleitung, Kraft und Mut. Und Zuversicht für die Dinge, die die aus der Entscheidung wachsen.

 „Uns steht ein schwerer Gang bevor: Wir wollen Abschied nehmen und auch nach vorne schauen“, hat Pfarrer Roland Hosselmann eingangs gesagt. Das Bild vom „schweren Gang“ ist wörtlich zu nehmen, als Gemeindemitglieder die liturgischen Gegenstände aus der Kirche tragen; gebeugt unter einer schweren Last schreiten sie langsam mit versteinerten Mienen durch den Kirchengang. Draußen dann gibt es einen letzten Segen. Auf dem Vorplatz fassen sich die, die gekommen sind, um Abschied zu nehmen an den Händen und singen gemeinsam: „Komm, Herr, segne uns, dass wir uns nicht trennen ...“

Ein Tag später in Hörste. Entwidmung der Lukaskirche. Hier sind die Kirchenbänke vollbesetzt. Superintendent Schilling hält die Predigt. „Das ist ein harter Anfang für dieses Jahr“, formuliert er später. Die Lukaskirche ist gerappelt voll, zusätzliche Stühle müssen herbeigeschafft werden. „Ich vergleiche den heutigen Tag mit einer Beerdigung“, hat Lilo Peter der Lippstädter Tageszeitung PATRIOT in den Notizblock diktiert. 15 Jahre war sie Pfarrerin in Hörste. Ihr ist anzumerken, wie sehr das Ende der Lukaskirche an ihr nagt.

Dr. Schilling begleitet das Ende mit einem gewissen Pragmatismus: „Jetzt kommt es auf Euch an. Ihr könnt alle lesen, habt alle ein Haus, die meisten können gut backen. Ladet euch doch gegenseitig an eure Küchentische ein und lest zusammen das Evangelium, redet gemeinsam über den Glauben.“ Lilo Peters versucht, allen Mut zu zusprechen: „So heftig eine Beerdigung sein kann, so wichtig ist es, daran teilzunehmen. Denn sonst würde in der Erinnerung etwas fehlen. Trauer hat heilende Kraft.“

Grundsteinlegung für die Zukunft

Auch in Lipperbruch überwiegen schmerzhafte Trauer und tiefe Enttäuschung über das vor knapp einem Jahr vom Presbyterium beschlossene Aus der Christophoruskirche, die über so viele Jahre Heimat unzähliger Gläubiger war. Aber die Zeiten haben sich gewandelt. Gottesdienste sind nur noch spärlich besucht. Oft hätten die Pfarrerinnen und Pfarrer die Besucher auch in ihre Wohnzimmer einladen können; sie hätten alle Platz gefunden. Hinzu kommen deutlich gestiegene Unterhaltungskosten. Die Kirchengemeinde kann sich die große Zahl an Kirchen und kirchlichen Gebäuden buchstäblich nicht mehr leisten.

Künftig soll sich das Gemeindeleben auf Lippstadt und Cappel konzentrieren. Ob die Gläubigen aus Hörste, Lipperbruch, Bad Waldliesborn oder Benninghausen das annehmen und zum Teil weite Wege für einen Gottesdienst auf sich nehmen? Die nächsten Monate werden es zeigen. Auch in Lipperbruch bleiben an diesem Sonntag einige Plätze leer. Ein letzter, ein stiller Protest der Enttäuschten.

Benninghausen hat keine Kirche, wohl aber ein Gemeindehaus, das für Gottesdienst genutzt wurde. Auch damit ist es nun vorbei.  Auch hier spricht Superintendent Dr. Schilling den Gottesdienstbesuchern in seiner Predigt Mut zu: „Unsere Kirche wird sich verändern, kein Stein wird auf dem anderen bleiben. Gut, dass Sie in Lippstadt so mutig vorangehen.“ Für Benninghausen gibt es – im Gegensatz zu den anderen drei Kirchen – eine konkrete Perspektive. Die benachbarte Grundschule wird das Gebäude weiter nutzen und so mit Leben füllen.

In der Pfarrkonferenz des Kirchenkreises Soest-Arnsberg fasste die Lippstädter Pfarrerin Yvonne Buthke ihre Gefühle ob dieses tiefen Einschnitts zusammen: „Es war ein schweres Wochenende; unglaublich berührend. Ich habe viel Zusammenhalt gespürt, aber auch viel Trauer und manchmal auch Bitterkeit und Wut. Vielfach war die Stimmung wie bei einer Beerdigung. Gleichzeitig aber hatten die Gottesdienste auch etwas von einer Grundsteinlegung für die Zukunft.“ Einer besseren Zukunft?

Sprach den Gläubigen in Hörste, Lipperbruch und Benninghausen Mut zu: Superintendent Dr. Manuel Schilling. Fotos: Hans-Albert Limbrock

Für das Gemeindehaus in Benninghausen gibt es eine Zukunft. Es wird unter anderem für die Grundschule als Aula genutzt.