Gelebt wie die Wölfe - Brigitte Trennepohl berichtet im Mehrgenerationenhaus über ihr Schicksal als Wolfskind

Erstellt am 23.03.2019

Von Klaus Bunte

Reinhild Anemüller und Ute Palth von der ev. Erwachsenenbildung des Kirchenkreises Soest-Arnsberg mit den jungen Musikerinnen Lisa und Lotta Brinker sowie Sujeong Kim Bild: Klaus Bunte

Bad Sassendorf. Ute Plath ärgerte es, dass so wenig über Wolfskinder bekannt ist. „Ich saß irgendwann mit Pastor Ralph Frieling und zwei Flüchtlingen zusammen. Der eine der beiden Syrer hatte sehr schnell deutsch gelernt, und er meinte: Sie wissen ja alle gar nicht, was Krieg, Flucht und Vertreibung bedeuten. Daraufhin habe ich es gesagt: Ich bin Ostpreußin. Soll ich Ihnen mal erzählen, was mir einst widerfahren ist? Mir war klar, wir müssen was machen, um die Erinnerung wachzuhalten.“

Was nach dem Zweiten Weltkrieg die Wolfskinder waren, jene im nördlichen Ostpreußen am Ende des Zweiten Weltkrieges durch Kriegseinwirkungen und -folgen zeitweise oder dauerhaft elternlos gewordene heimatlose Kinder, die, um in den ersten Nachkriegsjahren zu überleben, in das Baltikum flüchteten oder dorthin gebracht wurden, sind heute die unbegleiteten jugendlichen Flüchtlinge.

Brigitte Trennepohl machte ähnliche leidvolle Jahre durch, fasste sie vor über 20 Jahren in einem kleinen Bändchen unter dem Titel „Was ein Kinderherz ertragen kann“ zusammen. Das Buch war später eine Inspiration für den Roman der Schriftstellerin Johanna Ellsworth. Am Donnerstagabend las die Ibbenbürenerin vor einem vollen Auditorium im Bad Sassendorfer Mehrgenerationenhaus aus beiden Werken.

Dafür entdeckt hatte Ute Plath sie, als sie über einen Fachmann, der seine Doktorarbeit über Wolfskinder geschrieben hatte, auf sie stieß. Nach der Lesung waren die beiden Frauen per Du.

Trennepohl erzählte von ihren entbehrungsreichen Jahren, die für sie im Grundschulalter begannen, die Flucht mit der Mutter und der Oma vor der russischen Armee, die sie nicht nach Berlin führte, sondern in den Heilsberger Kessel – Jahre der Armut und des Hungers, in denen sie sich wie die Wolfskinder mit Bettelfahrten nach Litauen am Leben hielt.

Seit 2007 betreut sie im Auftrag der Heimatkreisgemeinschaft Gerdauen (der frühere Name von Schelesnodoroschny bei Kaliningrad), einem Verein mit Sitz in Schlewig-Holstein, die noch lebenden Wolfskinder aus dieser Region, „das liegt mir sehr am Herzen, sie leben dort zum Teil noch wie wir damals nach dem Krieg“, erzählt sie. Nur eine Handvoll ist heute noch am Leben. Rein durch Spenden erhalten sie zweimal im Jahr 150 Euro von ihrem Verein.

Und wenn sie dann heute sehe, wie Flucht und Vertreibung wieder zum Alltag gehören, „dann geht mir das sehr zu Herzen“, erzählt sie. „Das erinnert mich sehr an uns. Dieses Ertrinken im Meer, das erinnert mich, wenn unsere Leute auf der Flucht über die Ostsee auf einem zugefrorenen Haff im Eis einbrachen mit ihren Pferden und Kutschen. Heute wird den Menschen immerhin ganz anders geholfen. Viele junge Leute denken, wir sind hier alle nur aus Jux und Dollerei. Sie wissen gar nicht, dass dieses Leben, das wir heute führen, keine Selbstverständlichkeit ist. Aber auch die Älteren haben hier von Westdeutschland aus gar nicht mitbekommen, was wir da drüben erlebt haben. Mitte der Neunziger Jahre habe ich das Buch geschrieben, und viele, die es gelesen haben, meinten danach zu mir: Brigitte, wie kannst Du nach all dem nur noch so fröhlich sein.“

Eingerahmt wurde die kurze Lesung mit passenden musikalischen Einlagen der jungen Musikerinnen Lisa und Lotta Brinker sowie Sujeong Kim.