Prallvolles Sittengemälde der Kirche

Erstellt am 05.08.2021

Michael Römling mit seinen beiden Romanen „Pandolfo“ und „Mercuria“ vor der Soester Kirche Alt St. Thomä, in deren Schatten der Historiker aufgewachsen ist. Foto: Hans-Albert Limbrock

Von Hans-Albert Limbrock

Soest. Päpste, die zu Kurtisanen gehen. Kardinäle, die Mädchen entführen, sie vergewaltigen und umbringen lassen. Bordelle, die zur Fastenzeit zugemauert und danach wieder von der halben Kurie gestürmt werden. Gelehrte, die sich an antiken Statuen vergehen. Keine Frage: Dr. Michael Römling zeichnet alles andere als ein sittenstrenges Bild der (Katholischen) Kirche. Im Gegenteil: Einige Szenen in seinen Büchern wirken mitunter zutiefst verstörend.

Aber genau so ist es in seinem neuen Roman „Mercuria“ gewollt. „Ich habe mir das ja alles nicht nur ausgedacht“, erzählt der aus Soest stammende Autor (48 Jahre). „Vieles von dem, was ich beschreibe, ist ja historisch belegt und durch Quellen verifiziert.“ So etwa die intensive Beschreibung eines Gottesdienstes zur Bekehrung der Huren in der römischen Kirche Santissimi Apostoli, die letztlich in einem wahren Furor endet.

Intensiv hat er in den frei zugänglichen Beständen der Vatikanischen Bibilothek recherchiert: „Dort gibt es unzählige so genannte ,Avvisi‘, durch die man einen unglaublich guten Eindruck in die damalige Zeit erhält.“ Diese „Avvisi“ waren im Rom des 16. Jahrhunderts so etwas wie die heutigen Zeitungen. Unabhängige Schreiber waren Tag und Nacht unterwegs, um zahlende Abonnenten mit Nachrichten – vor allem über die Vorgänge der Kurie – zu versorgen.

Einer dieser Novellanten genannten Schreiberlinge ist Michelangelo, den Römling gemeinsam mit der Kurtisane Mercuria in den Mittelpunkt seines überaus lebens- und liebesprallen Romans stellt. „Ja, da steckt einiges von mir drin“, räumt der inzwischen in Göttingen lebende Schriftsteller auf die Frage ein, ob Michelangelo auch ein wenig an Michael Römling erinnere.

„Mercuria“ ist nach „Pandolfo“ der zweite „Erwachsenenroman“ des Historikers, der lange Zeit in Italien studiert und gelebt hat und unter anderem in Rom seine Doktorarbeit verfasst hat: „Das Italien, das ich in meinen Büchern beschreibe, kenne ich nur zu gut aus meiner Doktorarbeit.“

Angefangen hat er seine schriftstellerische Karriere als Autor von Jugendbüchern. 2009 ist sein erstes Buch „Signum“ erschienen. Es folgten „Schattenspieler“ und „Seitenwechsel“ (alle erschienen bei Coppenrath). Doch schon beim Schreiben dieser Jugendbücher verspürte er die tiefe Lust, Romane zu schreiben, die auch Erwachsene mit auf eine faszinierende Zeitreise in zurückliegende Jahrhunderte nehmen. „Ich hatte einfach das Gefühl, dass die Zeit jetzt reif ist, ein solches Buch zu schreiben“, erklärt er die Initialzündung vor einigen Jahren für „Pandolfo“.

Wenngleich er durch seine zahlreichen Veröffentlichungen – inzwischen sind von Michael Römling auch eine ganze Reihe viel beachteter Geschichtsführer über Städte wie Münster, Aachen, Bremen oder Göttingen erschienen – das Handwerk des Schreibens natürlich aus dem Effeff beherrscht, war die Herangehensweise an „Pandolfo“ und später auch „Mercuria“ natürlich noch einmal eine völlig andere: „Vom Jugend- zum Erwachsenenbuch braucht es einen gewissen Lernprozess; der aber kommt beim Schreiben.“

Der aus Soest stammende Autor Michael Römling nimmt seine Leserschaft mit auf eine spannende Zeitreise in die frühe Neuzeit

 

Vor allem aber konnte er in diesem adulten Genre auch gewisse Vorlieben beim Schreiben ausleben und Fesseln sprengen, die man sich in Jugendbüchern zwangsläufig anlegt: „Ich mag diese Opulenz und Derbheit, die aus einigen Quellen des 16. Jahrhunderts spricht, etwa den ,Kurtisanengesprächen‘ von Pietro Aretino oder den Sonetten von Niccolò Franco. Und das soll sich in meinen Büchern auch widerspiegeln.“

Das ist auf vielen Seiten und in der Beschreibung zahlreicher Szenen seiner in den 1490er Jahren (Pandolfo) und in den 1560er Jahren (Mercuria) angesiedelten Geschichten spür- und lesbar, aus denen es sinnenfroh, bisweilen respektlos, aber immer höchst unterhaltsam und lesenswert nur so trieft. Nicht umsonst bewirbt sein Verlag Rowohlt sein Werk als historische Romane „in der Tradition von Umberto Eco“.

Probleme, sich in diese Zeit hineinzudenken, hat der Historiker dabei nicht. Auch sind ihm die beschriebenen Schauplätze, Straßen, Wohnviertel und auch die Menschen alles andere als fremd, müssen von ihm nur durch das Schreiben zum Leben erweckt werden: „Wenn ich am PC sitze, sehe ich das alles vor mir. Das ist mir bestens bekanntes und vertrautes Terrain.“ Dabei ist ihm seine eigene „Italien-Zeit“ natürlich mehr als hilfreich. Viele der Gebäude und Plätze, die Römling beschreibt, hat er während der acht Jahre, die er in Italien verbracht hat, praktisch täglich gesehen: „Das erleichtert das Schreiben natürlich ungemein. Und zur Not hilft Streetview.“

Dass in seinen Büchern die Kirche – und hier besonders die römisch-katholische – eine so große (und nicht besonders positive) Rolle spielt, kommt nicht von ungefähr. Michael Römling ist in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem Gespräche über Religion und Glauben stets eine wichtige Rolle gespielt haben. Vater Hans-Martin Römling hat als Oberstudienrat am Conrad-von-Soest-Gymnasium über viele Jahre Evangelische Religion unterrichtet. Das Elternhaus steht mitten in der Soester Altstadt, nur wenige Steinwürfe von den mittelalterlichen Kirchen entfernt. So etwas prägt natürlich. Da liegt es doch eigentlich nahe, einen historischen Roman auch einmal in der Heimatstadt anzusiedeln? „Diese Versuchung“, so Römling, „ist eigentlich nicht so groß. Ich hänge sehr an meiner Heimatstadt, aber als Romanschauplatz reizen mich eher andere Orte.“

Zu einem solchen Ort wird er seine Leserinnen und Leser auch bei seiner nächsten Zeitreise mitnehmen, an der er gerade arbeitet. Der Roman wird im späten 9. Jahrhundert und im Karolingerreich spielen. So viel verrät Römling schon über das Buch, das im Herbst 2022 erscheinen und bei Rowohlt der Auftakt zu einer eigenen Reihe werden soll: „Es geht um einen Adligen, der nach einer Familienintrige ins Kloster geschickt wurde, sich dort eine umfassende Bildung angeeignet hat und nach einem Wikingerüberfall gezwungen ist, in sein altes Kämpferleben zurückzukehren, weil seine Schwester von den Dänen entführt wurde. Und weil das Schwert nun schonmal entrostet ist, begibt er sich nach der Befreiung der Schwester gleich daran, die alte Familiengeschichte zu bereinigen. Dabei trifft er auf eine ganze Reihe schräger Typen und gerät in aberwitzige Situationen. Es wird also bei aller Dramatik nicht allzu ernst.“

Erster und wichtigster Kritiker wird auch hierbei wieder sein Vater sein. Der genießt das Privileg, Seiten und Kapitel immer als Erster lesen und kritisch bewerten zu dürfen. „Manche Szenen“, verrät er, „sind auch mir manchmal zu deftig.“ Darüber wird sich dann bisweilen intensiv ausgetauscht. „Wir“, so sein Sohn, „diskutieren viel, haben das eigentlich schon immer getan. Besonders zu Weihnachten haben wir das früher oft zelebriert.“

Da wurde oft bis in die Puppen miteinander „gerungen“ und nicht immer wurde ein Konsens gefunden: „Wir sind eben beides diskutierfreudige Menschen“, schmunzelt Michael Römling. Bis der neue Roman in etwas mehr als einem Jahr fertig ist, wird in der Soester Thomästraße, in der Römling aufgewachsen ist, daher garantiert noch so manch intensive Debatte geführt werden.