Meilenstein für die Wiesenkirche

Erstellt am 09.06.2023

Abbau an den Türmen endet bald und wird mit einem Hüttenfest gefeiert

Besprechung in 70 Meter Höhe (von links): Diplom-Ingenieur und Dombauhüttenmeister Gunther Rohrberg, Kirchenkreis-Architekt Dirk Pieper und Hüttenmeister Markus Schulze.

 

Von Hans-Albert Limbrock

Soest. Blätterteig. Sieht aus wie Blätterteig. Nur dass es sich hier nicht um das fluffig-leichte Gebäck, sondern um einen eigentlich massiven Stein handelt. Einen Stein, der einige hundert Jahre hatte halten sollen. Hat er aber nicht. Und deshalb sieht das grüne Mauerwerk in luftiger Höhe des 81 Meter hohen Nordturmes an der Wiesenkirche eben aus wie Blätterteig. „Teilweise zerbröselt er uns so in der Hand“, beschreibt Hüttenmeister Markus Schulze das Problem mit dem Mauerwerk: Wie Karies haben sich Umwelt- und Witterungseinflüsse buchstäblich in den Stein gefressen.

Bis 2027, so die optimistische Schätzung, werden die Arbeiten noch andauern. Dann, vermutlich im Oktober, soll die Herkulesaufgabe „Restaurierung der beiden Kirchtürme von St. Maria zur Wiese“ ihren Abschluss finden. Am 7. Oktober 1987 hatte Johannes Rau als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen den Grundstein für die Restaurierung gelegt. „Der 7. Oktober 2027 ist damit ein schönes Datum, das alle Beteiligten anspornen wird, dieses wunderbare Bauwerk generationenübergreifend zu erhalten“, hat Jürgen Prigl, der langjährige und sich nun im Ruhestand befindliche Dombaumeister, zur Datumsfindung gesagt. 

Bis dahin bleiben für Markus Schulze sowie die Gesellen Thomas Gieske, Jonathan Schulze und Auszubildende Nele Dreizehner noch knapp vier Jahre, die finalen Arbeiten am Nordturm zu vollenden. „Das geht jetzt in die entscheidende Phase“, ordnet Schulze die Aufgaben ein, die noch vor ihm und seinem engagierten Team liegen. Der Abbau der  Steinschale an den Türmen wird in den nächsten drei Monaten beendet werden. Da damit ein weiterer Meilenstein erreicht ist, wird dieser historische Akt am 26. August  mit einem Hüttenfest des Dombauvereins gefeiert.

Desolates Mauerwerk

Die aktuellen Arbeiten bezeichnet Schulze als „besonders kniffelig. Das Mauerwerk ist an vielen Stellen äußerst desolat“. Der poröse Stein, der durch die Witterungseinflüsse hier oben nahezu schwarz ist, muss mit schwerem Werkzeug in fast schon chirurgischer Präzision „operiert“, das heißt beschnitten werden. Behutsam, also möglich erschütterungsfrei, wird das schadhafte Material mit einer gigantischen Schwertsäge und einer Seilsäge abgetragen.

Als die Restaurierung 1987 begann, hat man bei diesen Arbeiten vorzugsweise noch zu Hammer und Meißel gegriffen. Durch die Erschütterungen wurden die ohnehin schon brüchigen Steine dabei weiter geschädigt. Jürgen Prigl, der 1992 als Dombaumeister die Verantwortung übernahm, hat bereits früh begonnen, sich Gedanken darüber zu machen, wie man die Technik des Steineabtragens verbessern, verfeinern und damit optimieren kann. Die Seilsäge, die inzwischen zum Einsatz kommt, hat er entwickelt. „Damit“, so Dombaumeister Gunther Rohrberg, „kann nun weitgehend vibrationsfrei gearbeitet und damit der Stein geschont werden.“ Und doch bleibt es eine echte Schwerstarbeit für den Meister, seine zwei Gesellen und den weiblichen Lehrling aus der Dombauhütte. „Das geht mächtig in die Arme“, weiß Geselle Jonathan Schulze, der bevorzugt die Säge führt.

Aktuell wird der einst grüne Sandstein, der im späten 19. Jahrhundert aus den Steinbrüchen um Soest und später auch aus Anröchte gewonnen wurde, freigeschnitten, damit die neue Giebelgalerie aus sandfarbenem Oberkirchner Sandstein, der als deutlich witterungsbeständiger gilt, davorgesetzt werden kann. Verstärkt und verbunden werden alt und neu durch aufwändige Verzahnung miteinander und durch gewaltige Ringanker. Diese sind aus Edelstahl, wiegen etwa 90 Kilogramm und müssen mit millimetergenauer Präzisionsarbeit untereinander verbunden werden, damit sie wie eine gigantische Klammer wirken. Zuletzt werden dann noch die Giebel mit ihrem üppigen Zierrat und die Fialen erneuert.

Aber das ist aktuell noch Zukunftsmusik. Bis es soweit ist, liegt noch viel Arbeit vor den Verantwortlichen. Das weiß auch Markus Schulze, wenn er auf die Baustelle auf dem Dach von Soest blickt: „Keine Frage, wir haben noch reichlich zu tun. Das alles ist schon eine gewaltige Herausforderung. Eine Herausforderung, der wir uns aber gerne stellen und die uns auch stolz macht.“

Mit solch gewaltigen, 90 Kilo schweren Ringankern, von denen die Gesellen Thomas Gieske, Jonathan Schulze, Dombaumeister Gunther Rohrberg und Hüttenmeister Markus Schulze (von vorne) hier ein Exemplar präsentieren, werden alt und neu auf dem Nordturm miteinander verbunden. Fotos: Hans-Albert Limbrock