Ein Gebot christlicher Nächstenliebe

Erstellt am 16.06.2023

Kirchengemeinde Geseke bietet vier geflüchteten Männern Schutz im Kirchenasyl

Pfarrerin Kristina Ziemssen und ihre Unterstützer:Innen kümmern sich um die Männer im Kirchenasyl. Die Kommunikation erfolgt oft über das Handy. Irgendjemand kennt immer einen, der Deutsch, Englisch, Türkisch oder Kurdisch spricht. Foto: Hans-Albert Limbrock

 

Von Hans-Albert Limbrock

Geseke. Für einen kurzen Moment stockt die Stimme des kräftigen Mannes. Ibrahim greift zum Taschentuch und tupft sich die tränenfeuchten Augen: „Wir sind so unendlich dankbar, dass uns hier geholfen wird. Zum ersten Mal seit langer Zeit erleben wir wieder so etwas wie Frieden, finden Ruhe und können wieder zu uns selber finden.“ Gemeinsam mit Samander (30), Hassan (19) und Türki (29) ist der 43jährige in der Evangelischen Kirchengemeinde in Geseke im Kirchenasyl.

Hier warten die vier Männer aus Syrien und Afghanistan nun darauf, dass ihre bereits angedrohte und auch organisierte Abschiebung rückgängig gemacht wird und ihnen anschließend Asyl gewährt wird. Für Pfarrerin Kristina Ziemssen ist Kirchenasyl etwas, das einfach zur DNA der Kirchengemeinde gehört; etwas, dass für sie und die meisten ihrer Mitstreiter:Innen in der Gemeinde unverzichtbar ist. Etwas, über das nicht mehr groß diskutiert wird. Etwas, das man in Geseke einfach macht – trotz oder auch gerade wegen der Widerstände und der hohen bürokratischen Hürden, die ein jedes Kirchenasyl stets begleiten.

„Wenn die Anfragen kommen und wir überzeugt sind, dass wir das machen müssen, dann stehen wir bereit“, fasst die resolute Pfarrerin die Einstellung der Kirchengemeinde und des Presbyteriums zusammen. Diese Einstellung hat bisher zwölf Kirchenasyle begleitet, jetzt sind vier weitere hinzugekommen. Zwölfmal konnten so Menschen vor der Abschiebung bewahrt werden, die nach den Buchstaben des Gesetzes (Stichwort: Dublin-Abkommen) eigentlich wieder in das Land zurück sollten, in dem sie zum ersten Mal auf europäischem Boden registriert wurden.

Bei drei der vier Männer, die aktuell gemeinsam in der extra für solche Fälle eingerichteten Wohnung im Emmaus-Gemeindehaus leben, war die Rückführung nach Bulgarien schon beschlossene Sache. Ibrahim sollte zurück nach Frankreich und von dort über Saudi-Arabien zurück nach Syrien. „Aber dahin kann  ich nicht zurück. Von dort bin ich doch vor dem Krieg geflohen“, sagt er.

Samander, Hassan und Türki haben bereits ihre Erfahrungen mit Bulgarien gemacht. Schlechte Erfahrung. Zwar sei dies auch ein europäisches Land, aber Flüchtlinge seien dort nicht willkommen. „Dort“, sagt Hassan, „bekommt man keine Unterstützung, keine ärztliche Versorgung, schlechte Verpflegung, eigentlich überhaupt keine Hilfe.“ Im Gegenteil: mehrfach seien sie geschlagen worden. „Dort ist es nicht gut; dort will man keine Flüchtlinge. Denen ist es egal, was wir alles erlebt haben.“ Die Pfarrerin kennt ihre Geschichte(n), weiß, was sie durchgemacht haben: „Im Moment sind sie alle sehr erschöpft. Sie haben viel Angst und große Sorgen. Das sieht man in ihren Gesichtern.“

In ihrer Heimat waren sie Lehrer, Computerfachleute, Metzger, Landwirte und Schreiner. Auch in Deutschland wollen sie wieder arbeiten. Aber dazu muss erst einmal geklärt werden, ob sie hierbleiben dürfen. Das kann noch dauern. Bis dahin haben sie in Geseke eine sichere Bleibe.

Für Kristina Ziemssen – und da spricht sie für die Mehrheit der Gemeinde – ist das Kirchenasyl ein Akt christlicher Nächstenliebe: „Deutschland ist sicher nicht das Paradies auf Erden, aber es ist unsere Pflicht, Menschen, die Zuflucht suchen, diese auch zu gewähren; alles andere ist unchristlich und mit der Art, wie ich glaube, nicht vereinbar. Entscheidend ist die Frage: Wo brauchen Menschen Hilfe? Das treibt uns alle an.“

Engagement im Kirchenasyl

Bereits seit einigen Jahren engagiert sich die Evangelische Kirchengemeinde Geseke im Thema Kirchenasyl. An Anfragen mangelt es nicht. Im Gegenteil - Ziemssen: „Wenn es danach geht, könnten wir hier hundert aufnehmen. Fast jeden Tag gibt es Anfragen. Aber mehr als vier geht beim besten Willen nicht.“ Auch jetzt sollten es eigentlich nur zwei Aufnahmen sein; aber dann kamen zwei weitere Anfragen: „Wir können so schlecht Nein! sagen.“ Nur als das Gemeindezentrum, das im Herbst wieder eingeweiht wurde, etwas mehr als ein Jahr lang umgebaut wurde, hat man das Kirchenasyl ausgesetzt. Dass in das frühere Bodelschwingh-Gemeindezentrum extra eine Wohnung für Kirchenasyl eingerichtet wurde, steht für das außerordentliche Engagement der Geseker.