"Die Leute gehen darin auf"

Erstellt am 09.06.2023

Silvia Klein und Maren Neumann-Aukthun laden zu geführten Meditationen ein

Von Klaus Bunte

Oberense – Zur Begrüßung erklingt Beethovens Mondscheinsonate, dann das Bibelzitat „Denn wo zwei oder drei in meinem Namen zusammenkommen, da bin ich selbst in ihrer Mitte”, der erste Text, den Silvia Klein Dr. Maren Neumann-Aukthun für diesen Tag ausgesucht haben. Kern der Veranstaltung ist die „Speisung der Fünftausend“, ebenfalls aus dem Evangelium nach Matthäus, und „welche Art ‚Nahrung’ könnte sich in dem Wort, dem Bild, dem Begriff ‚Brot‚ verbergen? Was gibt uns Gott – Vater, Sohn und Heiliger Geist –, das sich vermehrt, wenn wir es teilen?“, fragt Klein.

Ort ist die katholische Rochus-Kapelle, doch statt eines katholischen und somit zwangsläufig männlichen Gemeindepfarrers im Messgewand stehen hier zwei Frauen: Klein ist Katholikin, Neumann-Aukthtun evangelische Presbyterin. Zweimal im Monat laden sie hier seit vergangenen Dezember unter dem Titel „Du wartest – ich komme!” zu einer Art „spiritueller“ Andacht ein.  

Viele Katholiken mögen zwar verlangen, dass die Kirche neue Wege gehen solle, sonst kehrten ihr immer mehr den Rücken – doch um Missionierung gehe es hier absolut nicht, betont Silvia Klein. Sie versteht es als völlig unverbindliches ökumenisches Angebot für gläubige Menschen, die nicht einmal einer Kirche angehören müssten, eine Einladung zu zur stressmindernden Achtsamkeit, einer Haltung, bei der man sich ganz bewusst entscheidet, mit der Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt zu bleiben, als Gegenentwurf zum Multitasking, das laut Hirnforschern nicht für mehr Leistung sorge, sondern diese sogar verschlechtere. „Achtsamkeit ist in aller Munde. Pfiffige Autoren und Lebensberater bieten zuhauf ihre Dienste in Achtsamkeit an. Bei uns gibt’s das nicht umsonst, aber kostenlos und fundiert“, verspricht Klein.

Der Buch- und Beratungsmarkt in Sachen Achtsamkeit boome. Und warum? „Weil so viele Menschen spüren, dass sie sich trotz eines beinahe perfekten äußeren Lebens eben nicht innerlich wohlfühlen. Sie verspüren immer noch Sehnsucht nach einem guten Miteinander, einem würdevollen Respekt vor sich selbst. In ihnen wohnt die Sehnsucht nach einer Übereinstimmung zwischen ihrem inneren und äußeren Leben. Und die Brücke heißt Achtsamkeit.“

Achtsam zu leben heiße, auf sich selbst und alle die zu achten, die so um einen herum leben: „Im praktischen Alltag unzähliger Menschen fehlt – nach eigenem Bekennen – jedem Einzelnen die Zeit, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob ich auf mich selbst und/oder die Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung achte, kommuniziere, ihnen zuhöre.“

Dies sei eine Haltung, die es erst einzuüben gelte – genau darin bestehe ihr Angebot. „Der zentrale Punkt in unseren Andachten ist die Meditation. Die Bibel ist ein lebendiges Zeugnis davon, wie Menschen sind: unvollkommen, zweifelnd, misstrauisch, böse, neidisch. Maren und ich wählen biblische Texte aus, die von solchen menschlichen Defiziten erzählen und davon, wie wir mit ihnen – auf göttlichen und christlichen Rat hin, vermittelt durch die Heilige Geistkraft – umgehen können. Das ist so was wie ein Achtsamkeitsseminar mit einer Jahrtausende alten Erfahrung und Tradition.“

Und das sei eben die Bibel. Sicher, andere bieten solche Seminare ohne religiösen Unterbau an, sie selber baue auch mal Popsongs wie das zutiefst religiöse „Hymn“ von Barclay James Harvest ein oder weltliche Gedichte von Rilke oder Hesse, wenn sie thematisch passen – aber ausschließlich? „Da fehlt mir das Fundament“, meint  Klein. „Ich kann mich doch nicht auf Hesse berufen. Unsere Auffassung ist, dass diese biblischen Texte über Jahrtausende geprüft sind und daher etwas Bleibendes haben. Auch jemand, der nicht glaubt, kann mit diesen Texten etwas anfangen und merken: Oh, das ist ja gar nicht so verstaubt“, so ihre Überzeugung. „Ich habe mich so oft gefragt, warum sich auch 2000 Jahre nach der Geburt von Jesus Christus – der als historisch existierende Person zweifelsfrei akzeptiert ist – noch so unendlich viele Gelehrte, Geweihte, aber auch Laien auf allen Kontinenten mit dem Buch der Bücher, der Bibel beschäftigen. Diese Schriften, so meine laienhafte Einschätzung heute, zeugen von einer sehr guten Kenntnis der menschlichen Psyche, des menschlichen Seins. Das ist das verlässliche Fundament. Das, was dort geschrieben steht, geschieht heute in einem anderen Umfeld – aber: Es geschieht uns noch ganz genau so – im Kern jedenfalls. Diese Erkenntnis fasziniert mich!“

Es folgt ein Gebet, das auf die anschließende Meditation vorbereitet: „Meditation ist universal. Alle Kulturen auf allen Kontinenten dieser Erde kennen den Rückzug in die Einsamkeit, die Ruhe – fern ab vom Getöse, dem Lärm und den unzähligen Werbetrommlern unseres Alltags. Meditation will heute geübt sein – wir können kaum noch Erfahrungen sammeln in der Stille – wir halten sie kaum noch aus“, so ihre Erfahrung. „Die allermeisten sind nicht in der Lage, eine Viertelstunde zu sitzen und mit sich alleine zu sein, das ist in dieser lauten Welt ungeheuer schwierig. Das habe ich mit mir selber erfahren. Inzwischen schaffe ich das eine halbe Stunde lang. Insofern ist klar, dass wir bei diesem Format keine Massenanläufe haben werden. Doch je ruhiger Sie werden, desto mehr steigt von dem auf, was in Ihnen versteckt liegt. Da kommen Emotionen hoch, die Sie sonst nicht bemerken, weil sie sonst durch diesen lauten Alltag verdeckt sind.“

Auch für jene Achtsamkeit sei die Meditation wichtig, „für den Blick auf meine Wirklichkeit und die meines Nachbarn. In der Meditation nehmen wir Abstand von all den ‚goldenen Kälbern’, wir ziehen uns zurück, besinnen uns auf das Wesentliche. Und daraus schöpfen wir – so auch die neuzeitliche Wissenschaft – Kraft. Meditierende, auf ihr Leben reflektierende Menschen, leben länger. Irgendwann macht man das auch zu Hause, geht in die Ruhe, hört sich selber zu – Gläubige nennen das Gebet“. 

Im Anschluss reflektieren die Teilnehmer, das, was sie in der Stille wahrgenommen haben – aber niemand werde gezwungen, dies mit den anderen zu teilen, und es werde auch nichts bewertet.

Aktuell ist die Runde noch kein, der E-Mail-Verteiler enthält 20 Namen, aber nicht alle kommen jedes Mal, mal sind es pro Sitzung zehn, dann vielleicht sogar nur drei. Umso besser seien die Rückmeldungen: „Für mich ist das eine Oase im Alltag“, zitiert Klein ihre Gäste, „inmitten der ganzen Reizüberflutung sind Meditation und Kapelle ein wundervolles Kleinod“, „die ausgesuchten  Lieder und Texte gehen mir ins Herz“, „heute seinen Glauben öffentlich zu bezeugen, ist sehr mutig, es tut ihr gut, dass wir dazu stehen“. Das bestärkt Klein darin, zu sagen: „Mir ist klar, dass so ein unübliches Format eine lange Anlaufzeit braucht. Aber wir wollen das durchziehen. Denn auch wenn es ein kleiner Kreis ist, diese Leute wollen das nicht mehr missen, die gehen darin auf.“

Bei der geführten Meditation ist die Achtsamkeit elementar, die Sehnsucht zwischen innerem und äußerem Leben.

Zum Titel des Meditationsangebots

„Du wartest – ich komme!” lautet der Titel, den Silvia Klein und Dr. Maren Neumann-Aukthun ihrer Reihe gegeben habe. Dazu erklärt Klein: “In der jüdischen und christlichen Tradition offenbart sich Gott dem Mose als der ‚Ich bin da’. Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, die sehr wohl erkennen, glauben, dass es jenseits der menschlichen Erkenntnisfähigkeit eine höhere Intelligenz, Autorität, also jemanden/etwas geben wird, das wir Menschen nicht begreifen, bestenfalls als Geheimnis akzeptieren können. Überall auf der Welt nennen Menschen dieses Dasein ‚Gott’. Und der ist da. Der wünscht sich, dass wir mit ihm kommunizieren, mit dem Ziel, unsere ‚Achtsamkeit’ zu verbessern. Jesus nennt das ‚Umkehr’. Also: Gott ist da – immer und überall. Er wartet darauf, dass wir achtsamer werden – in der Bibel heißt es: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“