Der letzte alte Stein

Erstellt am 01.09.2023

Bis 2027 soll der Nordturm an der Wiesenkirche fertiggestellt sein

Ein letzter, maroder Stein als Meilenstein: Dombaumeister Jürgen Prigl (mit Säge) umringt von Dr. Bruno Denis Kretzschmar, Nele Dreizehner, Jonathan Schulze, Gunther Rohrberg, Thomas Gieske, Markus Schulze, Dr. Birgitta Ringbeck und Katharina Schuchardt. Fotos: Hans-Albert Limbrock

 

Von Hans-Albert Limbrock

Soest. Dieses Beweises hätte es eigentlich nicht bedurft; zumindest nicht für Menschen die um den baulichen Zustand der Wiesenkirche in vielen Bereichen wissen. Aber als Jürgen Prigl, der Dombaumeister im temporären Ruhestand die mächtige Steinsäge am fast 150 Jahre alten Anröchter Grünsandstein ansetzt, wird das ganze Dilemma am Nordturm augenfällig. Wie Streuselkuchen zerbröselt der Stein unter dem Druck der Säge.

„Vielleicht hat manch einer gedacht, wir übertreiben maßlos, wenn wir auf die massiven Schäden hingewiesen haben. Aber hier gerade wird es überdeutlich; da ist nichts übertrieben, es ist fast noch schlimmer als angenommen“, sagt Prigl und bricht ohne Mühe mit dem Stemmeisen weitere kiloschwere Steinblöcke aus dem Turm.

Es war mehr als ein symbolischer Akt, als an diesem strahlend schönen Sommertag zum letzten Mal die große Steinsäge angesetzt wurde; es war vielmehr der Schlusspunkt einer vierundzwanzig Jahre währenden Schadensbeseitigung. „Als wir 1999 am Nordturm begonnen haben, konnten wir noch nicht auf solch ausgeklügelte Technik zurückgreifen“, blickt Prigl zurück.

Damals wurden die maroden Steine ausschließlich mit Menschenkraft und mit Hammer, Meißel, Brecheisen herausgebrochen. Präzise und das noch intakte Mauerwerk schonende Arbeiten waren das nicht. Prigl: „Das war grenzwertig.“ Deshalb hat er mit seinem Team über andere Möglichkeiten nachgedacht und man hat mit Unterstützung durch eine renommierte Fachfirma Maschinen entwickelt, mit denen man in chirurgischer Präzision das schadhafte Mauerwerk herauslösen kann. 1500 Tonnen Stein – das entspricht in etwa dem Gewicht von 1000 Mittelklasse-Autos – sind seitdem buchstäblich abgebaut worden. Von 2009 bis 2015 haben die Arbeiten am Nordturm übrigens geruht, weil das Gerüst für den Südturm gebraucht wurde, an dem die Schäden noch größer waren und schnelles Handeln erforderten.

Zu der kleinen Feierstunde war neben Vertreterinnen und Vertreter der Dombauhütte, der Denkmalbehörde auch Dr. Birgitta Ringbeck eingeladen. Sie ist inzwischen Vorsitzende des Dombauvereins und war seinerzeit im Ministerium in Düsseldorf mit zuständig für die Vergabe von Fördergeldern für die Wiesenkirche: „Das hat mich gerade schon sehr erschrocken, dass der Stein so bröselt. Man darf gar nicht nachdenken, was alles hätte passieren können.“

Für Prigl steht daher fest, dass man „nicht einen Tag später“ mit der Sanierung hätte anfangen dürfen als 1999. „Alles andere wäre fahrlässig gewesen. Diese kaputten Steine sind jahrzehntelang wie ein Damoklesschwert über uns geschwebt.“

Für Hüttenmeister Markus Schulze und sein engagiertes Team mit der Auszubildenden Nele Dreizehner und den beiden Gesellen Jonathan Schulze und Thomas Gieske beginnt nun die Zeit des konstruktiven Aufbaus, damit 2027 dann mit einem letzten, neuen Stein die Restaurierung der beiden so charakteristischen Wiese-Kirchtürme nach dann 45 Jahren Bauzeit und 35 Millionen Euro Kosten abgeschlossen werden kann. 

Noch bis 2027 wird das Gerüst am Nordturm stehen. Ab Oktober werden die bei charakteristischen Türme dann erstmals seit 1992 wieder „gerüstfrei“ sein.