„Wir nehmen Ihre Sorgen ernst“

Erstellt am 27.10.2023

Intensive und emotionale Flüchtlings-Diskussion auf Einladung des Kirchenkreises

Eine volle Kirche – das findet man heute eher selten: Knapp 320 Soesterinnen und Soester folgten der Einladung zum Bürgergespräch. Foto: Hans-Albert Limbrock

Von Thomas Brüggestraße

Soest. Kurz vor Schluss des Bürgergesprächs in der Johannes-Kirche platzt Brigitte Sehmi vom Stadtteilbüro der Kragen: „Ich wohne seit 40 Jahren hier im Soester Süden, und ich fühle mich wohl und sicher hier – es ist überhaupt nicht schlimmer geworden, so wie manch einer heute Abend behauptet hat." Engländer waren früher im Soester Süden, Kanadier, Belgier. Bunt war es, manchmal auch handfest. Es solle also niemand kommen, heute den Süden so schlecht zu machen wegen der ZUE und der Menschen, die dort wohnen. Und bitte: Nicht pauschal den Stab brechen über Leute, mit denen die allermeisten noch nicht ein einziges Wort geredet haben.

Sehmi macht eine Pause und schaut in die Bänke: Es ist voll, etwas mehr als 300 Leute sind da. Sieben sitzen auf dem Podium: Meinhard Esser, Fachbereichsleiter Soziales bei der Stadt, Dr. Mohammed Reza Hussein vom Integrationsrat, Polizeichef Thomas Link, ZUE-Leiterin Sabine Heynen, Dr. Andreas Hohlfeld von der Bezirksregierung und Superintendent Dr. Manuel  als Gastgeber: „Ich hatte die Idee zu diesem Abend, und ich fand es wichtig und an der Zeit, dass alle miteinander reden", sagt er, warum er im Namen des Kirchenkreises und der Emmaus-Gemeinde eingeladen hat: „Die Kirche ist ein guter Ort, sie ist immer ein Ort für alle."

Der Journalist Sebastian Moritz moderiert. Torsten Bottin, Pressesprecher der Stadt, und Hans-Albert Limbrock, Öffentlichkeitsreferent des Kirchenkreises,  reichen Mikros zu allen, die Fragen stellen wollen: Immer nur ein, zwei, damit alle drankommen. Um 18.30 Uhr ist Start mit Vorstellung des Podiums, dann gibt es eine ausgiebe Frage- und Antwortrunde, abschließend ein Fazit – fast zweieinhalb Stunden dauert der Abend. Polizei und Ordnungsamt passen auf, Fernsehen ist da.

Zurück zu Brigitte Sehmi. Die redet sich um etwa halb neun den Frust von der Seele: „Ich habe die Interkulturelle Woche mit aus der Taufe gehoben, die gab es vor kurzem wieder. Und es gibt den Tag des Flüchtlings, den organisieren wir hier auch – um Berührungsängste abzubauen, Begegnungen möglich zu machen, einen Anfang von Integration. Zu diesen Veranstaltungen kommen aber zu wenig Soester. Vielleicht schreiben Sie sich das mal auf fürs nächste Jahr..."

Sind Flüchtlinge noch wollkommen?

Frage des Abends: Sind Flüchtlinge noch willkommen in Soest? Das wollen die Leute wissen - und sie bohren immer wieder nach: Muss man Angst haben, vor die Türe zu gehen, vor allem im Soester Süden? Kann man nicht mehr sicher Kirmes feiern? Wer schützt unsere Kinder, warum sperrt die Polizei bekannte straffällige Flüchtlinge nicht konsequent weg? Alleine elf von ihnen sollen laut Polizei 165 Straftaten auf dem Kerbholz haben und sind immer noch frei, stellt sich heraus. Jemand fragt später nach: „Kommt sich die Polizei da nicht lächerlich vor?“

Weitere Fragen: Wer hatte eigentlich die „glorreiche Idee“, ausgerechnet in den Soester Süden, in den bevölkerungsreichsten Stadtteil, eine Zentrale Unterbringungseinrichtung (ZUE) zu pflanzen, wer wohnt da eigentlich – man kommt da ja als Normalo nicht rein? Warum klettern Bewohner der ZUE über die Zäune und gehen nicht durch die Pforte und melden sich anständig an und ab? Soll man dann die Polizei rufen?

Ein direkter Anwohner beschwert sich: Warum dürfen die im „Junggesellenblock“ derart Party feiern mit ihren Ghettoblastern, dass die ganze Nachbarschaft nicht schlafen kann? Gibt es keine Hausordnung? Geht niemand durchs Haus? Warum dürfen die Kinder dort bis nachts um elfe draußen spielen und lärmen? Warum liegt da so viel Müll auf der Schafweide neben der Einrichtung, von wo aus viele in die ZUE rein- und rausklettern – zig Tüten mit brauchbaren Lebensmitteln bleiben auf der Wiese liegen, wegräumen muss es die Schäferin.

Es werden Ehrenamtliche gesucht

Fragen stellen dürfen alle beim Bürger-Treffen in der Johannes-Kirche, auch nachbohren. Alles, was direkt mit Soest zu tun hat. Keine Bundespolitik, keine Volksreden. Respekt soll  sein, und das klappt gut - auch wenn sich manchmal die Nackenhaare aufrichten.

Sabine Heynen ist Leiterin der ZUE. Sie erläutert auf Nachfrage: 830 allein reisende Männer leben zurzeit in der Einrichtung, alle sind über 18. In Familien leben 717 Personen. Insgesamt leben derzeit 200 Familien mit 400 Kindern in der ehemaligen Kaserne am Hiddingser Weg. Viele Menschen auf engem Raum, das sei ein Grundproblem, mit dem wohl auch Deutsche nicht gut zurechtkämen. Woher die Menschen kommen, weiß Dr. Hussein genau: Aus Syrien, aus der Türkei die größten Gruppen, mit deutlichem Abstand dann aus Afghanistan, ein geringer Anteil nur aus dem Maghreb.

Es gebe viel zu wenig und zu wenig qualifiziertes Personal, um sich um die Menschen in der Einrichtung zu kümmern, sagt Hussein, Sabine Heynen erzählt: Arbeiten dürften die Bewohner nicht, höchstens Handlangerdienste in der ZUE verrichten. In der ZUE hieße es eben, abzuwarten,  da würden Tage lang und langweilig. Heynen wirbt: „Wir können Ehrenamtliche gebrauchen, bitte melden Sie sich.“ Was fehlt, gibt sie zu, sind Psychologen und Fachleute, um Seelen zu heilen. Dr. Hussein vom Integrationsrat unterstreicht: „Es wohnen Schicksale in der Einrichtung, traumatisierte Erwachsene und Kinder. Das darf man nicht vergessen.“

Dass Mitarbeiter der ZUE an der Pforte oder am Telefon nicht immer bestens gelaunt seien, manchmal auch abwimmeln oder gar nicht erreichbar seien, wenn Soester Fragen hätten, sich wegen des Lärms melden, das sei nicht gut – man werde an den Strukturen arbeiten, verspricht Heynen. Von „unhaltbaren Zuständen“ in der ZUE ist immer wieder die Rede.

Keine 100prozentige Sicherheit

Polizeidirektor Link entgegnet auf Kritik: Die Polizei greife natürlich ein, und sie verhafte auch, wo es nötig sei. Für das eigentliche Wegsperren sei die Polizei aber eben nicht zuständig, unterstrich er mehrfach, es gebe Gesetze und eine Strafprozessordnung. Dass Beamte angeblich nicht konsequent Anzeigen und Beschwerden nachgingen, will er nicht glauben: „Ich erwarte von allen Beamten volles Engagement für die Sicherheit der Bürger.“

Auf angebliche Übergriffe von Migranten gegen Mädchen angesprochen, sagt er: „Wir können nur dort tätig werden, wo man uns auch etwas meldet. Sprechen Sie uns an.“ Dass die Zahl der Straftaten insgesamt steige, hat er schon zu Beginn des Abends bejaht. Aber: Die Beteiligung von Zuwanderern reduziere sich auf einen kleinen Anteil, auf wenige, die immer wieder auffielen. Link: „Es gibt auch andere Intensivtäter, es gibt auch deutsche Straftäter, das darf man nicht vergessen."

„Eine hundertprozentige Sicherheit können wir nicht garantieren", das gibt es als Antwort immer wieder von Meinhard Esser, auch von Bürgermeister Dr. Eckhard Ruthemeyer, von Polizeidirektor Thomas Link. Sabine Heynen: „Eine Minderheit der ZUE-Bewohner macht es allen anderen schwer. Eigentlich sind die meisten Menschen einfach nur in Not.“ Dr. Mohammed Reza Hussein: „Die Menschen dürfen nichts. Sie sitzen nur in ihren Unterkünften. Eine Interaktion mit den Menschen in Soest findet nicht statt.“ Heynen: „Ja, es ist so: Wir sind schon unter uns...“

Meinhard Esser sagt in seinem Fazit für die Stadt: „Wir sind dankbar für Kritik. Ich nehme die Impulse von heute Abend mit, auch da, wo negative Dinge angesprochen wurden. Wir nehmen Ihre Sorgen ernst. Es war schon klar, dass wir hier keine Fleißkärtchen bekommen.“ Dass die ZUE natürlich keine Einrichtung auf Dauer sein soll, auch das unterstreicht er. Aber das haben die Soester als Kommune nicht in der Hand.

Superintendent Dr. Manuel Schilling spricht noch einen Segen für wirklich alle - man sitzt ja schließlich in einer Kirche. Er sagt in seinem Schlusswort: „Ich bin dankbar und erleichtert, dass es keinen ausländerfeindlichen Ton gab - bis auf eine kleine Stelle.“ Schilling rät allen, sich nicht von Angst leiten zu lassen, vielmehr vom Beispiel des Samariters aus der Bibel: Der Mann habe Zivilcourage gezeigt und geholfen, sich für ein Schicksal, für den Anderen, den Fremden interessiert. Das könnte ein guter Ratschlag für alle sein: Interesse und Hinwendung.

Hochkarätig besetztes Podium (von links): Meinhard Esser, Fachbereichsleiter Soziales bei der Stadt, Dr. Mohammed Reza Hussein vom Integrationsrat, Polizeichef Thomas Link, Moderator Sebastian Moritz, Gastgeber Superintendent Dr. Manuel Schilling, ZUE-Leiterin Sabine Heynen, Dr. Andreas Hohlfeld (Bezirksregierung Arnsberg). Foto: Hans-Albert Limbrock

Dieser Teilnehmer des Abends wollte wissen, wer genau alles zurzeit in der ZUE untergebracht ist, wie viele Familien, wie viele Alleinreisende, wie viele Kinder. Foto: Thomas Brüggestraße

Es gab auch heitere Momente: Hier lachen Meinolf Esser von der Stadt, Dr. Mohammed Reza Hussein vom Integrationsrat und Polizeidirektor Thomas Link. Foto: Thomas Brüggestraße

Sabine Heynen ist Leiterin der Zentralen Unterbringungseinrichtung in Soest. Foto: Thomas Brüggestraße