Jüdische Geschichte sichtbar gemacht

Erstellt am 26.04.2024

230 Jahre war jüdische Geschichte fester Bestandteil in der Gemeinde Möhnesee

Etwa 50 Personen nahmen an der Einweihung teil. Die Aufnahme zeigt den Blick von der neu errichteten Steinstele auf den Gedenkstein des Heimatvereins (rechts) und das neu errichtete Tor (im Hintergrund). Das ursprüngliche Tor soll etwas weiter rechts gestanden haben.

Von Thomas Brüggestraße

Körbecke. Im jüdischen Verständnis ist der Friedhof, der „Todtenhof", heiliger Boden. Ruhe und Frieden sollen dort sein. Dass die Körbecker sich dort gesellig trafen, den Platz am Berlingser Weg „Auf'm Judas" nannten — die Zeiten sind vorbei. Der Körbecker Walter E. Lutter mit seinen Büchern über Juden in Körbecke, über die Verschleppung der letzten Familie namens Meyerhoff, nachhaltig erschütterte Zeitzeugen aus Körbecke wie der heute hoch betagte Franz Giese, der Heimatverein Möhnesee, der einen Gedenkstein errichten ließ, Archivarin Dr. Lena Lewald, Schüler der Möhneseeschule und aktuell junge Leute aus dem Jugendtreff im Ort — sie alle gaben mit ihren Ideen den Juden in Körbecke ihre Namen wieder: Amberg, Nordheim, Busack, Bentheim, Stern/Feldmann und Meyerhoff. Mitglieder dieser Familien sind auf dem Todtenhof begraben.

Eine Steinstele aus aufgeschichteten Naturstein-Findlingen nimmt jetzt die jüdische Sitte auf, Steine zum Gedenken auf Grabsteine zu legen. Bildhauer- und Steinmetz-Meisterin Stephanie Roth schuf die Stele. Angelehnt an eine Bleistiftzeichnung aus Lutters Büchern baute die Firma Knappstein das ehemalige Eingangstor zum Berlingser Weg hin nach. Die Firma Hase mauerte die Steinsäulen zum Einhängen der Torflügel.

Mitarbeiter des Bauhofs der Gemeinde halfen mit. Das Leader-Büro um Dr. Christina Steinbicker gab Fördergeld. Die Hecken in Richtung Tor sollen noch ergänzt werden. Vielleicht verzichtet man aus Respekt demnächst darauf, am Hinweisschild zum Friedhof gelbe Säcke zu stapeln – zur Einweihung sah es dort schlimm aus: Es regnete, der Wind hatte den Müll rings um das Schild verteilt.

Etwa fünfzig Personen nahmen an der Einweihung teil. Marion Lepold sprach für die Gemeinde. Dr. Lena Lewald erläuterte: „Seit etwa 1703 sind über 230 Jahre jüdische Geschichte Bestandteil unserer Gemeinde Möhnesee. Auf unserem Gebiet lebten insgesamt sechs jüdische Familien. Mitglieder jeder Familie sind auf dem Friedhof hier begraben. Das jüdische Leben hier endete gewaltsam mit der Naziherrschaft und der Vertreibung der Meyerhoffs, der letzten jüdischen Familie."

Lewald beleuchtete weiter, die dauerhafte Wieder-Sichtbarmachung habe erst spät begonnen: 2001 wurde auf Initiative des Heimatvereins eine Gedenkstele errichtet, angefertigt von den Gebrüdern Winkelmann. Eine Bildungspartnerschaft der Möhnesee-Schule mit dem Gemeindearchiv leiste seit 2019 wichtige Beiträge zur Erinnerungskultur. Ein weiteres deutliches Zeichen hätten alle 2023 gesetzt: Der Künstler Gunter Demnig verlegte persönlich zwei Stolpersteine vor dem ehemaligen Haus von Meyer, genannt Max und Henriette Meyerhoff.

Dr. Lena Lewald erinnerte ebenso: „Am 15. April 1945 befreiten Briten das Konzentrationslager Bergen-Belsen. Wir dürfen das schreckliche Schicksal der Opfer nie vergessen." Lewald: „Unser Gedenken gewährleistet, dass die jüdische Geschichte der Gemeinde Möhnesee nicht unsichtbar wird." Lewald unterstrich ebenso: „Und doch herrschen jetzt gerade Krieg, Unterdrückung, Ausgrenzung, Verfolgung und Flucht auf der Welt. Diese alarmierende Entwicklung macht uns fassungslos und betroffen. Ein Leben in Demokratie und Freiheit mit einer Verfassung und Grundrechten ist noch immer nicht selbstverständlich. Vielen herzlichen Dank, dass Sie auch heute wieder Teil unserer gemeinsamen Botschaft sind."

Lisa Schirmer vom Jugendtreff erzählte, wie sie mit Jugendlichen aus Möhnesee in Auschwitz gewesen sei: „Am Ort des Verbrechens, wo Leid und Tod Alltag waren." Einzelschicksale für die anschließende Ausstellung GedenkArt aufzuarbeiten, sei wirklich „schwere Kost" für alle gewesen.

Diese Idee vom „Stein auf Stein" sei ihr und den jungen Leuten immer wieder begegnet bei allen Gesprächen, bei allem Nachblättern. Der Brauch habe im Judentum eine große Bedeutung, so hätten alle gelernt: Man lege einen Stein auf einen Grabstein, man verbeuge sich als Zeichen der Wertschätzung und des Respekts gegenüber der verstorbenen Person. Mit diesem Wissen im Hinterkopf sei die Idee entstanden für die neue Steinstele mit den aufgeschichteten Natursteinfindlingen — sie sei von den Jugendlichen gedacht als Zeichen des Respekts und der Wertschätzung jeder einzelnen Person, die auf dem Todtenhof in Körbecke zu Grabe getragen worden sei.

Alle seien dankbar für das Interesse und die Unterstützung durch die Gemeinde und nicht zuletzt den Bauhof, die beiden Kirchen vor Ort, das Leader-Büro, die Möhnesee-Schule, Zeitzeugen — auch für die Unterstützung Einzelner, die in der Berichterstattung unerwähnt geblieben seien.

Von links Lisa Schirmer vom Jugendtreff, Archivarin Dr. Lena Lewald, stellvertretende Bürgermeisterin Marion Lepold, Dr. Christina Steinbicker vom LEADER-Büro vor dem von Hase und Knappstein nachgebauten Eingangstor zum jüdischen Friedhof am Berlingser Weg. Hecken sollen noch nachgepflanzt werden für eine natürliche Einfriedung. Fotos: Thomas Brüggestraße

Dr. Lena Lewald (links) und Künstlerin Stephanie Roth legen zum Gedenken Steine auf die neu installierte Steinstele. Die Steine sind kerngebohrt und werden von einem langen Dübel gehalten.