Sorge um Zukunft von Kirche und Gesellschaft

Erstellt am 25.01.2024

Regierungspräsident Böckelühr warnt im Gespräch mit Superintendent Schilling vor Rechtsruck in Europa

Flüchtlingspolitik, der Ruck nach Rechts und die Rolle der Kirche in der Zukunft waren drei Themen, über die sich Regierungspräsident Heinrich Böckelühr (links) und Superintendent Dr. Manuel Schilling intensiv ausgetauscht haben. Fotos: Hans-Albert Limbrock

Von Hans-Albert Limbrock

Soest-Arnsberg. Die Zahl der Asylsuchenden ist in den vergangenen Monaten deutlich zurückgegangen. Darauf machte der Arnsberger Regierungspräsident Heinrich Böckelühr jetzt bei seinem Besuch im Kreiskirchenamt aufmerksam. Zuletzt seien jede Woche etwa 2000 Menschen nach NRW gekommen, die in Deutschland Asyl suchen; zuvor seien es wöchentlich 4000 gewesen. Allerdings, so der RP, sei der deutliche Rückgang vermutlich nicht mehr als eine jahreszeitlich bedingte Momentaufnahme: „Wenn das Wetter im Frühjahr besser und es wärmer wird, machen sich vermutlich wieder deutlich mehr auf den Weg über das Mittelmeer.“

Er geht daher davon aus, dass der Flüchtlingsstrom nicht abreißen wird. Im Gegenteil: „Wir wissen ja aktuell noch gar nicht, wie zum Beispiel die Menschen in Gaza oder Palästina oder in den anderen Krisenherden reagieren.“  Schon jetzt seien die Kommunen, die die Flüchtlinge letzten Endes aufnehmen, am Anschlag: „Es ist nun einmal Fakt, dass die meisten der Menschen, die flüchten und nach Europa kommen, nach Deutschland wollen.“ Da er achtzehn Jahre lang selbst Bürgermeister gewesen sei, wisse er nur zu gut um die Not vieler seiner Amtskollegen- und kolleginnen: „Denen steht bei der Flüchtlingsunterbringung das Wasser bis Oberkante Unterlippe.“

Superintendent Dr. Manuel Schilling zeigt grundsätzlich Verständnis für die Menschen, die aus Ländern, in denen Krieg und Hunger herrschen, aufgrund ihrer Religion oder ihrer politischen Ansichten fliehen, in Europa Asyl suchen: „Jede Not hat ihre Legitimität. Aber wir können sicherlich auch nicht alle Not und alles Leid der Welt lindern. Damit sind wir überfordert.“

Einig waren sich Schilling und der Regierungspräsident bei ihrem Gedankenaustausch darin, dass die Diskussion um Migration und Flüchtlinge der AFD in die Karten spielt und dies ein wesentlicher Anteil bei ihren starken Umfragewerten ist. Böckelühr fürchtet mit Blick auf die Europawahl im Juni sogar, dass eine vereinigte Rechte stärkste Fraktion im Europäischen Parlament werden könne: „Wenn das so kommt, dann fliegt uns die gesamte Europäische Union um die Ohren.“

Neben der Flüchtlingsdiskussion sieht der RP in einer allgemeinen Politikverdrossenheit einen der Hauptgründe für das Erstarken der Rechten in Deutschland, aber auch in ganz Europa: „Den Bürgern wird nichts mehr vernünftig erklärt. Hinzu kommen Existenzängste durch Rezession und Inflation.“ Er rechnet damit, dass die Zahl der Arbeitslosen im kommenden Jahr auf drei Millionen und mehr steigen wird. Böckelühr: „Viele Bürgerinnen und Bürger haben vor diesem Hintergrund das Gefühl, dass der Staat für die Flüchtlinge alles tut, für sie aber nichts. “

Dies sei eine gefährliche Melange, in der rechtes Gedankengut auf äußerst fruchtbaren Boden falle. „Das sorgt bei der Partei mit den vermeintlich einfachen Antworten für so großen Zulauf.“ Der Superintendent forderte die Politik auf, gemeinsam Visionen zu entwickeln, um eine Einheit in der Gesellschaft zu stiften: „Die demokratischen Parteien müssen sich um mehr Konsens bemühen, um die Menschen in diesem Land zu einen.“

Breiten Raum in dem knapp neunzigminütigem Austausch nahmen auch die aktuellen Probleme, mit denen sich die Evangelische Kirche konfrontiert sieht, ein. Heinrich Böckelühr, Mitglied der Evangelischen Gemeinde in seiner Heimat Schwerte, kritisierte, dass die Seelsorge immer mehr abnehme: „Früher kam der Pfarrer noch mit dem Bürgermeister zu den runden Geburtstagen. Das findet heute fast nicht mehr statt.“ Auch die Aufgabe von Kirchengebäuden und Gemeindehäusern trage zur Entfremdung der Menschen von der Kirche bei: „Da darf man sich nicht wundern, wenn die Menschen immer mehr wegdriften. Vielen fehlt der Anker in der Kirche – leider auch in der Politik.“

Superintendent Schilling verwies darauf, dass die Pfarrerinnen und Pfarrer für immer mehr Gemeindeglieder zuständig seien: „Als ich noch Pfarrer in Minden war, waren es 2000 Gemeindeglieder, für die ich zuständig war. Heute sind es schon mehr als 3000. Unsere Pfarrerinnen und Pfarrer leiden darunter, dass der Kontakt zur Gemeinde aufgrund der Größe nicht mehr so intensiv ist wie früher.“

Einigkeit herrschte darüber, dass die Kirche sich verändern muss - und wird. „Was über tausende von Jahren funktioniert hat, funktioniert so nicht mehr“, erklärte Schilling. Aber Kirche werde auch in Zukunft wichtig sein. Speziell dort, wo die Menschen einen Vorteil vom kirchlichen Engagement haben; vor allem in den Kitas, den Krankenhäusern oder in den Pflege- und Seniorenheimen. Bei der Suche nach alternativen Nutzungsmöglichkeiten für Kirchen, die aufgegeben werden - zuletzt waren es gleich vier in Lippstadt - , versprach der Regierungspräsident Unterstützung: „Für so etwas gibt es auch Landesprogramme. Dabei will ich gerne helfen.“