Ikonen der Volksfrömmigkeit - Ausstellung Bibelfliesen eröffnet einen Blick auf ein ganz besonderes Stück Kulturgut

Erstellt am 29.03.2019

Von Thomas Brüggestraße

Soest. Bibelfliesen hatten ihren Platz in der Küche oder am Kamin im Wohnzimmer. Sie waren vielleicht ein stiller Protest gegen das Bilderverbot in den Kirchen. So lebte man daheim mit den Bibelgeschichten genau dort, wo man saß, wo man aß und trank und sich wärmte und traf, wo man fröhlich war – und manchmal auch traurig. Bibelfliesen seien „Ikonen der Volksfrömmigkeit“, schreiben die Aktiven vom „Norder Bibelfliesenteam“.

Die Ausstellung dazu in Neu-Sankt Thomä in Soest läuft noch bis nach Ostern, immer dienstags und freitags von 15 bis 18 Uhr und samstags von 11 bis 13 Uhr. Dringend gesucht werden übrigens junge und ältere Damen und Herren, die die Betreuung während der Öffnungszeiten mit übernehmen – die Personaldecke an Ehrenamtlichen ist etwas dünn. Informationen dazu gibt es in der Thomägemeinde oder beim Kirchenkreis.

So war es beim Aufbau: „Manch einer weiß vielleicht gar nicht, was für Schätze sich am gekachelten Ofen oder an der Kachelwand dahinter verbergen“, sagt Kurt Perrey und zeigt auf ein Ensemble aus 35 Fliesen mit kobaltblauer Bemalung. Ein Frachtsegler in voller Fahrt ist zu sehen, darunter steht in kunstvoll geschwungenen Lettern „aan Godes Zeegen is al geleegen“: An Gottes Segen ist alles gelegen (Psalm 127). Drumherum 23 Fliesen mit unterschiedlichen Motiven – allesamt aus dem Buch der Bücher, von Genesis 21, Vers 14 (Abraham schickt die Magd Hagar und den gemeinsamem Sohn in die Wüste) bis Matthäus 4, Vers 3 (Jesus und der Versucher in der Wüste).

 „Im Original 300 Jahre alt, das zierte den Kachelofen einer Hafenkneipe in Neuharlingersiel“, erklärt Perrey und zeigt auf das Register, das an der Nachbildung befestigt ist: Die Kacheln von links nach rechts, von oben nach unten gezählt findet sich hier die Erklärung, was genau auf der jeweiligen Fliese zu sehen ist – so erschließt sich auch die Nachbildung der Kaminrückwand aus einer Burg in Leer, im Original sind die Fliesen von 1760.

„Bibelfliesen, dieser Trend ist so vor drei- vierhundert Jahren aus Holland zu uns gekommen, also zumindest im großen Bogen rüber nach Ostfriesland – Bibelfliesen sind ein Stück Kulturgut, das auf keinen Fall in Vergessenheit geraten soll, dafür setzen wir uns ein!“ Wir, das sind bei der ersten Führung Kurt Perrey, pensionierter Pfarrer mit Stationen in Göttingen, auf Juist und in Norden – und Dieter Wobker, wie Perrey ein rüstiger Senior und ehemaliger Sozialamtsleiter. Den Pfarrer mit seinem ungewöhnlichen Hobby, den habe er beim Müllwegbringen getroffen und sofort Freundschaft mit diesem Nachbarn geschlossen, erzählt er

 Seit 2003 touren die beiden Freunde durch Deutschland – in Soest haben sie jetzt die 103. Ausstellung aufgebaut, diesmal in Neu-Sankt Thomä. Eine ganze Reihe von Original-Fliesen haben sie mitgebracht, daneben viele Nachbildungen und Vergrößerungen.  

So um die 600 Einzelmotive haben sich bisher gefunden, wissen Perrey und Wobker, ein ganzes Universum habe sich da aufgetan – die Kacheln immer schön 13 mal 13 Zentimeter, weil das wohl ein Standardmaß war: Und von jedem Motiv gibt es bestimmt 20 unterschiedliche Varianten, mal in kobaltblau auf weißem Hintergrund, mal in mangan, das ist ein Braunton. Kurt Perrey: „Das Bemalen war Arbeit für mehrere Leute, das haben wir herausgefunden: Einer machte die Vorlage, einer malte die dünnen Striche, einer malte aus – das war ein schönes Stück Arbeit, bis so eine Fliese fertig war.“ Wie so eine Fliese gebrannt worden ist, auch das wird in Bild und Text beleuchtet.

Kurt Perrey: „ Es ist mitunter mühsam, die Geschichten hinter einer bemalten Fliese herauszufinden – da muss man viel prockeln und schauen, wo man Informationen herbekommt. Wie gesagt: Mancheiner, der weiß gar nicht, was er da an der Wand hängen hat – deshalb ist es ja auch unser Hauptanliegen, dass die Leute aufmerksam werden und mal genauer hinschauen.“ Ob der Trend bis nach Westfalen rübergeschwappt ist? Perrey: „Ich weiß es nicht – aber für Ostfriesland, da kann ich das verbindlich sagen…“

Die Fan-Gemeinde wächst nach und nach, der Kreis so richtig Fachkundiger bleibt überschaubar – in den Niederlanden ist Jan Pluis aus Noordsleen der Kenner schlechthin – mit ihm zusammen hat Perrey die „Fliesenbibel“ auf den Weg gebracht – Altes und Neues Testament und die Apokryphen. Mitherausgeber ist die Ostfriesische Bibelgesellschaft. Kurt Perrey: „Und Heiko Wilts aus Norden, der damals bei mir eine ABM gemacht hat, der hat dazu alle Fliesenfotos gemacht, alles ehrenamtlich – das muss man mal loben. Und so eine schöne Bibel, die gehört in jedes Haus – ist ja auch gut für die Arbeit vom Freundeskreis…“

Die Fliesenbibel ist 2008 erschienen und aktuell in Soest im Buchhandel zu haben für 34,90 Euro statt der üblichen 85. Informationen dazu gibt es in der Ausstellung, auch über einen halben Regalmeter an weiteren Büchern, die inzwischen zum Thema erschienen sind und die Fliesen und ihre Motive in immer neuen Zusammenhängen und Themenkreisen präsentieren – ganz neu erschienen ist der Band „Flucht und Vertreibung“. Fliesen und Erläuterungen dazu sind ein besonderer Bereich der Ausstellung, hinten in der Kirche an der Bühne zur Orgel.

Informationen und Kontakt: hier

Lena Husemann, Leiterin der Erwachsenenbildung im Evangelischen Kirchenkreis Soest-Arnsberg, hat die Ausstellung von Dieter Wobker und Kurt Perrey nach Soest geholt. Die Szene im Hintergrund gehört zur Emmaus-Geschichte... Fotos: Thomas Brüggestraße

Kurt Perrey ist ein echter Experte in Sachen Bibelfliesen und bereist mit seiner sehenswerten Ausstellung ganz Deutschland.